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Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde

Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde

Titel: Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Die Aufmerksamkeit aller richtete sich ausschließlich auf den Geisterheiler, der auf dem Ehrenplatz an der Rückseite der Hütte saß. Dem Aussehen nach hätte man glauben können, Schwarze Hand habe ungefähr vierzig Winter hinter sich, aber Kranker Bauch hielt ihn für älter. Er trug einen mit Malereien verzierten, bis zur Mitte seiner Oberschenkel reichenden Mantel aus Hirschhaut und lange, fransenbesetzte Leggings. Zahlreiche Ketten schmückten seinen Hals. Einige waren aus protzig schimmernden weißen Muscheln gearbeitet, die Händler von den weit entfernten Westlichen Wassern gebracht hatten. Schwarze Hands Brust war von einem Brustschild bedeckt, in den glattpolierte Perlen aus Adlerknochen eingearbeitet waren.
    Die glänzenden schwarzen Haare des Heilers zeigten noch keine Spur von Weiß, doch um seinen strengen Mund hatten sich dünne Linien gebildet. Er betete mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen. In den Händen hielt er angefeuchteten Salbei, den er mit rituellen Bewegungen dem Osten, Westen, Norden und Süden darbot und anschließend dem Himmel und der Erde. Nach diesem Ritual warf er die feuchten Blätter in das Feuer. Dampf stieg in einer zischenden Wolke auf.
    Neben Schwarze Hand lag Warmes Feuer mit angezogenen Knien auf der Seite. Beim Anblick seines Schwagers empfand Kranker Bauch tiefen Schmerz; sein ausgemergeltes Fleisch war so eingeschrumpft, daß es sich kaum noch von dem eines vertrockneten, dem Winter zum Opfer gefallenen Lebewesens unterschied. Aus seinen glanzlosen Augen war das vertraute Funkeln verschwunden. Warmes Feuer hustete erbärmlich. Er wurde mit jedem Tag weniger, bekam kaum noch Luft. Kratzende Laute drangen aus seiner Kehle, seine Brust hob und senkte sich schwer. Wie konnte ein so stattlicher, kräftiger Mann dermaßen geschwächt werden?
    Kranker Bauch versuchte sich zusammenzunehmen. Er liebte Warmes Feuer liebte ihn von ganzem Herzen. Hilflos dazusitzen und seinen langsamen Tod mit ansehen zu müssen… das fraß an ihm, quälte und verwundete seine Seele. Über das Feuer hinweg trafen sich ihre Blicke. Warmes Feuers wehmütiges Lächeln brannte den Schmerz nur noch tiefer in ihn hinein.
    Niemand sonst lächelte Kranker Bauch zu.
    Zur Rechten von Schwarze Hand saß die alte Rittersporn; mit verdrießlich angespanntem Gesichtsausdruck und nervös blinzelnd behielt sie alles im Auge. Sie thronte inmitten üppiger Felle.
    Der flackernde Feuerschein huschte über die tiefen Runzeln ihres Gesichts. Sie beobachtete Schwarze Hand wie ein Habicht ein dummes junges Backenhörnchen. In Gegenwart Gleichrangiger zeigte ihre Miene stets diese Schärfe. Ihr Gesicht erinnerte Kranker Bauch an eine zu lange gelagerte wilde Pflaume, verwittert und ausgedörrt.
    Nach Rittersporns Tod gehörte das Lager und das dazugehörige Land Kranker Bauchs Mutter Tannenzapfen Rittersporns älteste Tochter. Sie saß, die Hände im Schoß gefaltet, neben ihrer Mutter.
    Als Anführerin würde Tannenzapfen ihren beiden Schwestern Phloxsamen und Anmutige Frau eine Hütte geben, wie es Brauch war. Nach ihrem Tod war Rosenbusch an der Reihe, Kranker Bauchs älteste Schwester. Traditionsgemäß beschränkte sich die Erbfolge auf die Frauen. Wenn ein Mann heiratete, lebte er stets in der Hütte seiner Frau.
    Auch Kranker Bauch hatte bei der Frau gewohnt, mit der ihn Rittersporn verheiratet hatte. Wenn die Dinge zwischen ihm und Goldener Flachs nur anders verlaufen wären und sie ihn nicht rausgeworfen hätte… ist vorbei. Denk nicht mehr daran.
    Kranker Bauchs Tante, Phloxsamen, und ihr Mann, Riedgras, saßen an der Hüttenwand und blickten unruhig auf Warmes Feuer. Tannenzapfen gegenüber saß Schilfrohr, Kranker Bauchs Vater. Das Alter hatte bei Schilfrohr bereits tiefe Linien um die Augenwinkel und den Mund eingegraben. Früher einmal, als er noch ein junger Mann gewesen war, hatte Schilfrohr sein Volk auf den Kriegspfad gegen das Wolfsvolk in den Grass Meadow Mountains geführt und das schwer bewachte heilige Machtbündel erobert. Jeder Stamm fürchtete dieses Bündel. In den alten Legenden wird erzählt, es sei das Bündel des Ersten Mannes und Feuertänzer habe es nach seinem Tanz mit dem Feuer, mit dem er die Welt erneuerte, dem Erdvolk gegeben.
    Schilfrohr behauptete, in dem Augenblick, als er an jenem lange zurückliegenden Tag das Bündel berührt habe, sei seine Seele in Flammen aufgegangen und das Bündel habe ihm zugerufen, er sei nicht würdig, sein Hüter zu sein. Der Geist des

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