Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
ihre Zunge.
Wanderer sauste im Gestrüpp herum, beugte sich vor und griff nach etwas. »Ha!« platzte er vergnügt heraus und stapfte, eine Hornkröte in der Hand, zu Flechte zurück. Die Kehle des Tieres blähte sich zornig, während Wanderer mit seinem schmutzigen Daumen den stachligen Kopf streichelte.
»Da, da«, gurrte Wanderer. ,Alles ist gut. Wir brauchen nur kurz deine Hilfe.« Er ließ sich neben Flechte im Schatten nieder und schlug die Beine übereinander. »Hornkröten gehören zur Familie der Eidechsen und sind sehr verschwiegen.
Aber sie besitzen ein ausgezeichnetes Sehvermögen.«
»Sehen sie besser als die Antilopen?«
»O ja. Viel besser.«
»Wird sie dir erzählen, was sie gesehen hat?«
»Ich bezweifle es. Sie hassen es, so behandelt zu werden.«
Wanderer reichte Flechte das Tier und zupfte einen roten Faden aus dem Ärmel seines Hemdes. Die Hornkröte sah sie feindselig an und begann, ihre Hand mit Schleim zu überziehen. Sie nahm sie in die andere Hand und wischte die Finger im Gras ab, mußte aber gleich darauf die Hornkröte wieder in die andere Hand nehmen.
»Wanderer …«
»Halt sie noch ein bißchen, Flechte.«
Sie hob die Hand, auf der die Hornkröte saß, und blickte sie drohend an. Doch das Tier starrte so bösartig zurück, daß Flechte es unangenehm berührt in ihren Schoß legte.
»Schon gut, Flechte. Ich nehme sie.«
Die Hornkröte rutschte wie ein schlüpfriger Fisch von ihrer Hand in die seine. Flechte wischte sich die Finger am Boden sauber.
»Ruhig, ruhig«, gurrte Wanderer leise zu dem Tier. »Alles ist gut. Wir tun dir nichts. Wolfstöter sagte, Dachsschwanz habe Cahokia gestern verlassen und Petaga erwarte ihn. Wir müssen wissen, wo sich diese Krieger im Augenblick befinden.«
Er streichelte den Kopf der Hornkröte, bis sich das Tier beruhigte und aufhörte, Schleim abzusondern.
Behutsam setzte Wanderer die Hornkröte auf den Boden und band ein Ende des roten Fadens um ihre Kehle, das andere Ende wickelte er um die Spitze seines Zeigefingers. Anschließend hob er die Hornkröte auf und begann mit ihr herumzuspazieren.
Flechte trottete neben ihm her. »Wo gehen wir hin?«
»Dort hinauf.«
»Wozu das?«
Wanderer antwortete nicht, sondern stapfte mit Mühe eine kleine Anhöhe hinauf, von der aus das Schwemmland gut zu überblicken war. Redweed Village lag im Südwesten zu Füßen der Felsausläufer. Flechte stellte sich neben ihn zwischen ein paar Sonnenblumen.
»Gut«, flüsterte Wanderer. Er hielt die Hornkröte hoch über seinen Kopf und schloß die Augen.
»Wollen wir mal sehen, was da draußen vor sich geht.«
Wanderer drehte sich langsam im Kreis; sein vom Sonnenlicht überflutetes graues Haar erstrahlte wie ein weißer Glorienschein. Flechte blickte die Hornkröte an, die mit geblähter Kehle über die sanft gewellten Hügel starrte. Bei jedem Blinzeln des Tieres blieb Wanderer sofort stehen. Nach einer Weile drehte er sich wieder eine Hand weiter.
Nachdem er drei volle Kreise gedreht hatte, zogen sich Wanderers Brauen über seiner langen Nase zu einem Strich zusammen, seine Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. Er nahm die Hornkröte herunter, löste den Faden und ließ sie frei. Das Tier lief ins Gras zurück und kroch davon.
»Konntest du etwas sehen?«
Wanderer fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Petaga. Er ist noch im Süden, aber es sieht aus, als bewege er sich nach Norden. Den Rauchspuren nach zu schließen, hat er auf seinem Weg einige Dörfer überfallen.« Der rote Faden löste sich von Wanderers Finger und flatterte zwischen die Brennesseln. »Aber im Norden oder Westen sah ich gar nichts. Ich begreife das nicht.«
Flechte schob sich näher an ihn heran. »Was begreifst du nicht?«
»Wenn Dachsschwanz gestern Cahokia verlassen hat, hätte ich sehen müssen … irgend etwas hätte ich sehen müssen. Krieger oder aasfressende Vögel, die den Kriegern folgen. Wo könnte sich Dachsschwanz herumtreiben? Er muß mit beinahe tausend Kriegern unterwegs sein.« Er runzelte die Stirn. »Glaubst du, Wolfstöter hat sich geirrt?«
Flechte beschattete die Augen und suchte den Westen ab. Die Felsklippen am Vater der Wasser waren von hier aus nur eine undefinierbare graue Masse. Aber je länger Flechte hinüberstarrte, um so größeres Unbehagen befiel sie. Als der Wind in den Sonnenblumen raschelte, glaubte sie, eine Stimme zu hören, die verzweifelt nach ihr rief. »Wanderer, etwas stimmt da draußen nicht. Fühlst du es
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