Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
gelegt; seine langen schwarzen Haare fielen über Heuschreckes bandagiertes rechtes Bein und berührten den Boden. Er schluchzte herzzerreißend.
Heuschrecke trug ein dünnes weißes Hemd aus gesponnenen Seidenpflanzenfäden. Es schmiegte sich an jede Kurve ihres vom Fieber schweißnassen Körpers.
Respektvoll verbeugte sich Dachsschwanz vor Winterbeere, die, zwei Bündel in den Armen haltend, nahe der Tür auf dem Rücken lag. Waren das Babys? Grüne Esches Babys? Warum waren sie nicht zu Hause bei ihrer Mutter? Müde nickte Winterbeere Dachsschwanz einen Willkommensgruß zu, dann schloß sie wieder die Augen.
Er ging zu Heuschrecke und kniete vor ihrem Lager nieder. Sie hatte die kurzen Haare aus dem Gesicht gekämmt und mit kupfernen Kämmen hinter den Ohren befestigt. Die Haartracht betonte die Magerkeit ihrer eigenwilligen Gesichtszüge. Ihre Augen blickten glasig und leer.
Dachsschwanz legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Du hast Fieber.«
»Hast du schon gehört, was passiert ist?«
Ja a.
Heuschreckes Kiefermuskeln bebten. Sie biß krampfhaft die Zähne zusammen. »Ich bringe ihn um, Dachsschwanz.«
Er nickte beipflichtend. »Dafür kann ich dich nicht tadeln. Aber laß mich zuerst mit ihm sprechen, feststellen, warum er -«
»Für das, was er getan hat, gibt es keinen akzeptablen Grund!«
Heuschrecke zog die schwarz-weiße Decke beiseite, die Primels nackten Körper verhüllte. Primel grub sein Gesicht tiefer in den weißen Kleiderstoff über Heuschreckes Schoß und krümmte sich vor Schmerz und Scham zusammen. Er wollte wenigstens die scheußlichsten Wunden verbergen.
Dachsschwanz' Herz wurde mit einem Schlag kalt und still. Primels Hoden waren abgeschnitten.
Rosarote Wunden zeigten an, wo sie gewesen waren. Dachsschwanz schloß die Augen und wandte sich ab.
Heuschrecke streckte die Hand aus und packte ihn am Kinn. Sie drehte seinen Kopf, so daß er keine Möglichkeit hatte, ihrem leidenschaftlichen Blick auszuweichen. »Ich werde ihn töten, Dachsschwanz … und weder du noch irgend jemand anders wird mich aufhalten können.«
Heuschrecke sah Dachsschwanz an; in ihren Augen blitzte eine Wut, wie er sie noch nie gesehen hatte.
Das Feuer in ihren Augen versengte die Tiefen seiner Seele.
Beschwichtigend legte Dachsschwanz eine Hand auf Heuschreckes nackten Fuß. »Ich glaube nicht, daß es nötig ist.«
»Warum nicht?«
»Spätestens morgen abend ist Petaga hier.« Er holte tief Luft und versuchte, ruhig zu bleiben. »Wir können ihn nicht aufhalten.«
»Soll das heißen, du gibst auf?«
»Nein. Du kennst mich. Ich bin dickköpfig, ich gebe nie auf. Wir kämpfen bis zum letzten Krieger, aber …« Er zuckte resigniert die Achseln. Die Müdigkeit und Erschöpfung der vergangenen Tage lastete wie ein bleierner Mantel auf ihm. »Hagelwolke hat Petagas Truppen hervorragend geführt. Ich weiß nicht, wie hoch seine Verluste bei den Kämpfen im Norden waren, aber ich wette, nicht mehr als zweihundert, höchstens dreihundert Mann. Er hat immer noch ungefähr tausend Krieger. Du bist länger zurück als ich, Heuschrecke. Wie viele Krieger haben wir? Was meinst du?«
Sie senkte den Blick. Geistesabwesend streichelte sie Primels Haare. »Nur sehr wenige sind zurückgekommen. Ich weiß es nicht genau, fünfzig vielleicht. Ich bin hier im Haus eingesperrt. Bovist hält mich einigermaßen auf dem laufenden.«
»Das macht zweihundertfünfzig gegen tausend. Und trotz der Palisaden … ich glaube nicht, daß das genügen wird.«
»Was sollen wir tun?«
»Ich möchte, daß du mit deiner Familie umziehst, und zwar in das geschützte Viertel hinter den Palisaden - in mein Haus. Ich werde ohnehin kaum zu Hause sein. Es sind so viele Pläne auszuarbeiten und Kämpfe auszufechten, daß mir kaum Zeit bleibt. Wenn du willst, bitte ich Nachtschatten, zu dir zu kommen und sich um dich und Primel zu kümmern. Sie ist eine große Heilerin.«
»Dachsschwanz, wenn du mir erlaubst, auf die andere Seite der Palisaden zu gehen, werde ich Tharon «
»Gib mir nur drei Tage. Ich nehme an, dann hat Petaga die Palisaden überrannt und Tharon getötet.
Aber falls nicht… nun, darüber reden wir, wenn es soweit ist. Einverstanden?«
Heuschreckes Miene entspannte sich; nun sah er ihr deutlich die Auswirkungen der Erschöpfung und des Fiebers an. »Einverstanden.«
Liebevoll tätschelte er ihren nackten Fuß und erhob sich. »Wann kommst du in mein Haus?«
»Darüber muß ich mit Grüne Esche sprechen. Sie und Nessel
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