Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
Zeigefinger. »Aber wenn wir den Kopf unseres Häuptlingtums abhacken, versucht jedes Dorf, allein zurechtzukommen, weil jeder glaubt, er könne alles besser als die anderen. In ein paar Zyklen werden wir alle gegeneinander Kriege führen und töten - es wird schlimmer sein als jetzt. Kein Händler wird es wagen, unsere Wasserwege zu befahren. Wir werden isoliert sein und verzweifelter denn je. Beziehe das in deine Überlegungen mit ein …«
Mit wachsendem Befremden hörte Petaga zu. Der beißende Qualm der von Dachsschwanz' Kriegern niedergebrannten Häuser schwebte noch immer über Spiral Mounds, und Aloda sprach sich für Cahokia aus. Wie konnte er wollen, daß dieses grausame System, das sein Dorf zerstört und über die Hälfte seiner Leute ermordet hatte, bestehenblieb?
»Onkel«, fiel er ihm ins Wort, »Dachsschwanz hat deinen Bruder getötet, um Tharons Blutdurst zu stillen. Wovon reden wir überhaupt?«
Aloda starrte ihn ungerührt an. »Du, mein lieber Neffe, sprichst von Rache. Ich spreche vom Überleben.«
Petaga beugte sich vor. Ein unheimliches Feuer loderte in seinen Augen. »Ich will nicht noch einmal Zeuge werden, wie auch nur ein einziger meiner Leute ermordet wird. Ich werde kämpfen. Schließt du dich uns an oder nicht?«
»Ich kann nicht.«
Mit betonter Bedächtigkeit richtete sich Petaga auf. »Ist das dein letztes Wort?«
Ja.
Petaga ging zur Tür. Eine maßlose Wut gärte in ihm. Die Erinnerung an den Mord an seinem Vater schnitt schmerzhaft in seine Seele. Und niemals, bevor der Tod sich an seinen Körper heranschlich, würde er den Blick in den Augen seiner Mutter vergessen, als sie an Jenos' Gruft kniete und Hagelwolke von hinten an sie herantrat, um sie mit dem biegsamen schwarzen Strang in den kräftigen Händen zu erwürgen.
Petaga gab Hagelwolke ein Zeichen, er möge vor ihm hinausgehen. Unter der Tür drehte er sich ein letztes Mal um. »Dieser Tag wird dir noch Kummer bereiten, Onkel.«
Er trat ins helle Licht der Mittagssonne hinaus. Als er den Hügel hinunterging, hörte er Aloda hinter sich schreien: »Soll ich jetzt auf der Stelle mein Dorf auflösen, Petaga? Am Ende geschieht das sowieso!«
Mutter Erde war von einer sengenden Hitzewelle überflutet. Durch eine Dunstglocke fiel das Sonnenlicht in erstickenden goldenen Bahnen auf die Mais- und Kürbisfelder des Blaudecken-Stammes. Die ersten zartgrünen Blätter, so vielversprechend herangereift, welkten vor Grüne Esches Augen. Der Bach führte so wenig Wasser, daß die Bewässerungsgräben bereits ausgetrocknet waren.
Die Leute begannen, das Wasser zur Bewässerung der Feldfrüchte in Körben vom Bach herbeizutragen. Die Frauen hatten sich in zwei Reihen aufgestellt. In der einen Reihe wanderten die leeren Körbe von einer zur anderen zum Bach hinunter, die andere Reihe reichte die randvollen Körbe zurück. Die letzte in der Reihe goß das Wasser auf die langen, aufgehäufelten Ackerfurchen. Alle arbeiteten mit der Emsigkeit von Ameisen.
»O Erste Frau«, flüsterte Grüne Esche und hoffte, Primel, der in der ihr am nächsten stehenden Reihe mitarbeitete, möge sie nicht hören. »Was denkst du dir bloß? Ohne Regen können wir nicht überleben.«
Sie ließ ihre Hacke mit der Hornsteinspitze zu Boden fallen und streckte ihren schmerzenden Rücken.
Das Kind in ihrem Bauch war sehr groß geworden. Oft wurde sie die ganze Nacht lang von den Rückenschmerzen wach gehalten.
Sie hatte sich neue, lose fallende Röcke genäht, damit sie es während der langen Arbeitstage bequemer hatte. Die sonnengelbe Farbe, erzielt durch das Kochen des Gewebes in Flechtensud, hellte ihre Seele auf, war aber wirkungslos gegen die Schmerzen. Ihre schweren, nackten Brüste taten ihr weh.
Kupferfarben glänzten sie im Sonnenlicht. Es war ihr erstes Kind, und sie wußte nicht, welches Gefühl normal war und welches nicht. Die Frauen, die bereits große Familien hatten, beruhigten sie und sagten, sie solle sich keine Sorgen machen, kurz vor der Geburt breche jedes Baby der Mutter fast das Kreuz.
Sie strich sich über die schweißnasse Stirn. Insekten summten in schimmernden Wolken über das Maisfeld und kräuselten sich wie lebendige Säulen himmelwärts, so weit sie sehen konnte. Sie verabscheute diese Moskitos, Fliegen und Kriebelmücken, die sie schon vor Morgengrauen gequält hatten.
Erschöpft machte sich Grüne Esche wieder an ihre Arbeit und hackte das Unkraut zwischen den Maispflanzen heraus. Letzte Woche hatte sie diese Arbeit
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