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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Sonnenjäger, Mann? Werden die Schatten ihn einholen?«
    Der Mann antwortete mit müder Stimme: »Es ist schwer zu sagen, Junge. Manchmal flehen die Menschen darum, daß ein Kampf ihnen erspart bleibt, und wissen dabei nicht, daß nur in der Auseinandersetzung mit den Schatten das Licht sichtbar wird.«

5. KAPITEL
    Sonnenjäger ging mit müder Entschlossenheit durch Strauchnuß-Dorf auf Stehender Monds Zelt zu, das zwischen die Stämme zweier riesiger Tannen eingeschmiegt lag. Fünfzehn Zelte waren zwischen den Bäumen verstreut um einen zentralen Platz herum angeordnet, auf dem ein riesiges Feuer brannte.
    In Sonnenjägers stattlichem Körper schwelte die Erschöpfung wie die verdeckte Glut unter der Asche einer verlassenen Feuerstelle. Seine ohnehin tiefliegenden Augen waren in den vergangenen zwei Wochen so sehr eingesunken, daß sie schwarzen, in das Oval seines gebräunten Gesichts eingeschnittenen Löchern ähnelten. Das Rehbockleder seines mit langen Fransen versehenen Hemdes starrte von Schmutz und Schweiß. Um ihn herum waren im ganzen Dorf Seufzer und fiebriges Stöhnen zu hören. Die Krankheit wütete schon seit einem halben Mond, und es sah nicht so aus, als ob bald Besserung eintreten würde.
    Vor dem Zelteingang zögerte er kurz. Der letzte Schnee war unter dem warmen, vom Meer kommenden Wind geschmolzen, der Frühling war eingezogen. Der nach Wildblumen duftende Wind flüsterte in den dichten Tannennadeln und zog Falten in die reich bemalten Zeltwände. Wie ein Lied war dieser leichte Wind; es schien, als spielte er mit den Malereien in Schwarz, Gelb, Rot und Weiß und sänge dabei fröhlich. Sonnenjäger erlaubte sich einen Moment der Versenkung in die Schönheit der Malerei, der gelben, von rot zerberstenden Sternen überhangenen Hügel, in denen Männer mit Atlatls Mammuts jagten. Er hatte in der letzten Zeit kaum geschlafen und fürchtete, seine Beine könnten unter ihm nachgeben, wenn er sich nicht bald niedersetzte. Ich muß mich nur eine Weile ausruhen. Nicht mehr als einen Moment.
    Er setzte das Bündel ab, in dem er die Dinge mit sich führte, die er als Heiler benötigte. Müde hielt er sich an der Firststange des Zeltes fest.
    Frauen bewegten sich schweigend im hellen Sonnenlicht. Den Tag zuvor waren Jäger mit Fleisch heimgekommen, und auf dem Dorfplatz knieten drei Mädchen und schnitten mit von einem großen Obsidian abgeschlagenen Schneider Fleischstreifen vom Hinterteil eines Lamas. Trotz der Trauer im Dorf hob ab und zu eines der Mädchen lächelnd einen Fleischstreifen hoch, um ihn mit dem ihrer Freundinnen zu vergleichen und zu sehen, welcher der dünnste und längste war. Überall standen Trockengestelle. Alte Frauen saßen daneben und verscheuchten Fliegen, Elstern und kleine Tiere von dem roten Fleisch, das sich in der Sonne braun färbte.
    Gute Feder, die sich anscheinend niemals krank fühlte, stand in Sonnenjägers Nähe. Sie hatte eine frische Antilopenhaut aufgespannt und schabte das Fleisch mit einem Werkzeug aus Feuerstein ab.
    Den Feuerstein hatte man an einer Seite abgesplittert und so eine Schabekante erhalten. Danach war der rotbraune Stein in ein als Griff dienendes, gegabeltes Zweigstück eingesetzt worden. So war ein Gerät entstanden, das es ermöglichte, mit kräftigen, hackenden Bewegungen die letzten Fleisch- und Faserreste von einer Tierhaut abzuschaben.
    Am nächsten Tag, wenn Gute Feder die Haut sauber abgeschabt hatte, würde sie sie mit Holzasche bestreuen, zusammenrollen und einweichen. Die Asche weichte das Fell auf, so daß man es abschaben konnte. Wenn sie alles Fell entfernt hatte, würde sie mit einem runden Flußkiesel eine Mischung aus Gehirnmasse, weißem Lehm und Urin in die Haut einreiben. Wieder würde sie die Haut eng zusammenrollen und weichen lassen. Mehrere Tage lang würde sie diese Prozedur wiederholen. Wenn dann das Leder das Gerbmittel aufgenommen hatte, würde sie es wieder über eines der auch beim Abschaben verwendeten Gestelle spannen, damit es beim Trocknen weich blieb. Schließlich würde sie aus dem weißen, wolkenfarbenen Leder ein fein gearbeitetes Hemd nähen. Er hatte ihr sehr oft dabei zugesehen und nie aufgehört, ihre Kunstfertigkeit zu bewundern. Niemand machte schönere Kleidungsstücke als Gute Feder.
    Sonnenjäger lächelte. Ohne sie wäre er schon längst tot. Als er sieben Sommer alt war, hatte die Hütte seiner Eltern Feuer gefangen. Sie hatten nahe an den Flammen gelegen und waren wohl gleich tot gewesen.

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