Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
Besonderes, nur eine Stelle, wo der Fluß den Sandsteinfelsen ausgehöhlt hatte. Sie war acht Handbreit hoch, zehn breit und reichte etwa eineinhalb Meter tief in den Fels hinein. Ein altes Packrattennest füllte einen breiten Riß in der südlichen Wand aus.
Feuerholz… wenn meine Hände sich jemals wieder gebrauchen lassen. Turmfalke glitt so weit wie möglich ins Innere, um sich vor dem heftigen Wind zu schützen, der den Fluß entlangwehte. Es war schon eine Erleichterung, wenigstens dem Sturm entkommen zu sein. Sie lehnte ihre zitternden Schultern an die rauhe Rückwand und ließ den Kopf nach vorn fallen. Draußen verbreitete sich ein transparenter, aschefarbener Schein über den Himmel. Die hellsten Sterne des Sternenvolkes funkelten schon am östlichen Horizont. »Bitte, Alter-Mann-Oben, laß es eine warme Nacht sein!«
Turmfalke mußte die Knie mit den Händen hochnehmen und sie so halten, daß sie sie mit den Armen umfassen und gegen ihre Brust drücken konnte. Sie wurde so heftig von Kälteschauern geschüttelt, daß sie wie ein kleines Kind weinte. Wann war sie jemals so hilflos und verloren gewesen?
Vor langer Zeit, als sie neun Sommer alt gewesen war, hatte sie eine Frau namens Yuccablüte ins Eis eines gefrorenen Teichs einbrechen sehen. Bevor irgend jemand Yuccablüte hatte erreichen können, war sie untergegangen und für eine gefährlich lange Zeit unter Wasser geblieben. Nachdem ihr Mann sie schließlich herausgezogen und wieder zum Atmen gebracht hatte, hatte er gleich an Ort und Stelle, mitten im eisigen Weidengehölz, alle seine Kleider ausgezogen und seine Frau an seinen nackten Körper gepreßt, um sie zu wärmen. Sie hatte so stark gezittert wie jetzt Turmfalke. Und sie hatte überlebt.
Dieser Gedanke ermutigte Turmfalke.
In den Händen hatte sie nun wieder etwas Gefühl - sie schmerzten dumpf. Turmfalke benutzte ihren rechten Arm wie einen Stock, steckte ihn durch den Lederriemen von Wolkenmädchens Sack und zerrte ihn dann vor ihre Brust. Wenn sie sich ganz krümmte und klein machte, konnte sie den Sack nun über ihren Kopf ziehen. Ihr Bündel mit den Werkzeugen, den Stöcken zum Feuermachen und dem getrockneten Tapirfleisch benutzte sie als Kissen für Wolkenmädchens Kopf. Sie richtete sie so weit auf, daß sie den Fluß vor der Schutzhöhle sehen konnte. Ihre Tochter hörte auf zu weinen und sah zu, wie die Vögel sich auf das aufgewühlte, braune Wasser hinabstürzten und dort untertauchten. Heiseres Kreischen klang durch den Abend.
Turmfalke rieb mit der Wange über den Kaninchenfellsack, um zu fühlen, ob er feucht geworden war.
Der Boden des Sacks hatte sich vollgesogen, doch die obere Partie war größtenteils trocken geblieben.
»Geht es dir gut, Baby?«
Sie legte die Wange auf Wolkenmädchens mit weichen Härchen bedeckten Kopf und ließ sie über die Seite des Babygesichts hinabgleiten. Die glatte Haut ihrer Tochter strahlte Wärme aus. Gesegnete Wärme. Wolkenmädchen hatte begonnen, an der Faust zu lutschen. Trotz der Tränen leuchteten ihre Augen.
Da Turmfalke fürchtete, daß es ihr später am Abend eher noch Schlechtergehen werde, löste sie ihr Bündel von dem Kaninchenfellsack. Mit den Zähnen knotete sie den Riemen auf und durchsuchte dann das Bündel nach ihren Stöcken zum Feueranmachen. Als sie feststellte, daß sie naß geworden waren, flössen ihre Tränen so heftig wie nie zuvor. Kaltes Entsetzen packte sie. Wenn sie es nicht schaffte, ein Feuer in Gang zu bringen …
Turmfalke kroch auf allen vieren um Wolkenmädchen herum und auf das große Packrattennest zu.
Packratten suchten immer ihre ganze Umgebung nach allen möglichen Stöckchen und Hölzchen ab, die sie zu ihrem Nest tragen konnten, sogar stachelige Kakteenohren nahmen sie mit. Dieses Nistmaterial bauten sie dann in Felsspalten hinein. Das Nest in der Schutzhöhle füllte einen schulterbreiten Spalt im Felsen aus, der vom Boden bis zur Decke reichte. Sie wußte nicht, wie tief das Nest in den Felsen hineinreichte, aber es war ein ganzes Stück. Mit tauben Fingern schob sie unbrauchbares Holz beiseite, bis sie ein gutes, hartes Traubenkirschenhölzchen fand. Alter-Mann-Oben mußte ihre Gebete gehört haben, denn ein Biber hatte das eine Ende spitz angenagt. Als nächstes suchte sie ein zu Zunder verfaultes, trockenes Stück Kiefernholz aus.
Sie benutzte ihre beiden Hände wie Zangen, nahm die Holzstücke auf und wandte sich wieder ihrem Bündel zu. Erneut wurde sie von Kälteschauern
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