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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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würde sich umschauen, feststellen, daß sie allein war, und sich vor Angst in den eigenen Schwanz verbeißen. In der Mitte dieses heiligen Schlangenkreises würde eine neue Welt geboren werden, die rein und sauber und mit merkwürdigen neuen Pflanzen und Tieren gefüllt war.
    Sonnenjäger stand auf und neigte ehrerbietig den Kopf. Sein weißer Zopf schimmerte, als wäre er mit flüssigem Silber überzogen. Er sah irgendwie unwirklich aus, wie er da vor dem Hintergrund des fallenden Schnees stand, als gehörte sein Körper mehr zu diesem glitzernden Schleier als zu der soliden Welt aus Erde, Wasser und Himmel. Langsam drehte er sich um.
    »Turmfalke, bring mir bitte meinen Korb, den Beutel mit den Adlerdaunen und eine Tasse Wasser!«
    Sie holte die Dinge, um die er gebeten hatte, und brachte sie ihm. Er ging bis zum Rand des äußeren weißen Kreises, um sie ihr aus der Hand zu nehmen. Dabei strichen seine Finger leicht über die ihren.
    »Danke.« Er sah sie mit leuchtenden Augen an.
    Sie nickte, ging wieder zurück und ließ sich am wärmenden Feuer nieder. Er beobachtete, wie sie sich mit angewinkelten Beinen setzte und die Arme um die Knie legte. Dann zog er sich in die Mitte des inneren Kreises zurück und nahm den Korb mit den Ameisen. Singend hob er ihn in jede der vier Weltrichtungen empor, weihte die Ameisen und bat die Geister, ihm bei der Reise zum Land der Toten zu helfen.
    Turmfalke wurde von tiefer Ehrfurcht ergriffen. Oft schon hatte sie von Sonnenjägers Reisen durch das Labyrinth gehört, wo er auf die leuchtenden Flügel der Donnerwesen geklettert war, die ihn zu Wolfsträumers Lichtzelt im Land der Toten getragen hatten. Sie konnte es kaum glauben, daß sie nun den Beginn dieser Reise erleben durfte.
    Sonnenjäger machte sorgfältig in seiner linken Hand ein winziges Nest aus Adlerdaunen zurecht und legte fünf gelbe Ameisen in die Mitte. Wie einen schützenden Kokon faltete er die Daunen über den Ameisen zusammen und steckte den Pfropfen in den Mund. Er hob die Wassertasse und nahm einen großen Schluck, um den Pfropfen hinunterzuspülen. Diese Prozedur wiederholte er siebenmal. Dann schüttelte er sich und zuckte zusammen, sank auf die Knie, beugte sich vor und hielt sich den Magen, als hätte er Schmerzen. Ein Schauer durchlief ihn.
    Turmfalke saß völlig still, um ihn nicht abzulenken, doch sie zog verwundert die Brauen zusammen.
    Beißen ihn die Ameisen von innen?
    Sonnenjägers Mund verkrampfte sich. Er ließ sich nach hinten in eine sitzende Position fallen und faßte in seinen Korb, um das lange Quarzmesser herauszunehmen, ergriff es fest mit beiden Händen und schloß die Augen.
    Nach Osten gewandt erstarrte er in dieser Stellung. Turmfalke wartete eine ganze Weile, bevor er sich wieder bewegte. Der Schnee fiel stärker und bildete eine dichte, weiße Wand vor der Höhle.
    Sonnenjäger öffnete die Augen und schaute durch Turmfalke hindurch, als sei sie gar nicht da. Seine Miene war völlig ausdruckslos. Die kantigen Gesichtszüge hätten aus Granit gemeißelt sein können.
    Wie ein alter Mann, den eine Gelenkkrankheit plagt, beugte er sich schließlich vor und senkte das Messer auf den weichen Sandsteinboden. An der Stelle, wo die rote Schlange der Ost-West-Achse den schwarzen, inneren Kreis durchschnitt, begann er, einen weiten Bogen zu zeichnen.
    Zuerst konnte sie nicht erkennen, was er tat. Dann bemerkte sie, daß er einen Kreis in den Boden geritzt hatte, den er nun mit einer verworrenen Fülle scheinbar sinnloser Linien füllte. Es sah aus wie ein Labyrinth … ja, wie ein Labyrinth.
    Turmfalke richtete sich auf, um besser sehen zu können. Mit großer Aufmerksamkeit zog Sonnenjäger eine vielfach gewundene Linie immer weiter nach innen, als folgte er einem selbstgemachten Pfad auf der Suche nach einem zentralen Punkt, der noch nicht feststand.
    Er hielt abrupt inne und zog eine Linie neu, dann nochmals neu, und ritzte so bei jedem Mal die Windung tiefer in den Steinboden. Nun zeigte sich zum ersten Mal ein Gefühl auf seinem Gesicht: Verwirrung oder vielleicht Niedergeschlagenheit.
    Turmfalkes Blick wanderte verständnislos vom Labyrinth zu Sonnenjägers Gesicht und wieder zurück.
    Was ist los, Sonnenjäger?
    Ohne die Augen von seiner in den Stein geritzten Zeichnung zu nehmen, tastete Sonnenjäger nach dem Korb und zog das halb unter dem Sand begrabene, quadratische Stück Hirschhaut heraus. Er breitete es aus, entfernte den Sand und glättete die Falten. Turmfalke konnte darauf

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