Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
überwältigend. Er erbrach sich auf den Boden. Turmfalke eilte zu ihm und hielt seinen Kopf mit erfahrener Hand, während die Welt um ihn herum zu einer braun-blauen Masse verschwamm. Die Bällchen aus Adlerdaunen kamen heraus. Er sah, wie aus dem nächstgelegenen eine lebendige Ameise krabbelte und über den Boden davoneilte.
»Leg dich hin, Sonnenjäger«, wies Turmfalke ihn an, bevor sie mit zwei flachen Steinen das Erbrochene entfernte. »Du mußt ja nicht aufstehen.«
Gehorsam streckte er sich auf dem Rücken aus. Turmfalke warf die beschmutzen Steine den Steilfelsen hinunter und zog die Wapitihaut hoch, um seine bloße Brust zu bedecken. Dann ging sie zum Feuer zurück.
Er schaute ihr beim Teemachen zu, wie sie Wasser in den Kochbeutel goß und dann Pfefferminzblätter dazugab. Sie hatte ihr hüftlanges Haar offen gelassen, und es schwang bei jeder Bewegung wie ein Vorhang um sie herum. Noch eine Erinnerung von letzter Nacht… Turmfalke in seinen Armen.
Plötzlich fühlte er sich verwirrt und peinlich berührt. Wie war das geschehen? Er hatte ihr gesagt, sie solle ihm fernbleiben, außer wenn er nach ihr riefe. Und das muß ich wohl getan haben. Heilige Geister, er hoffte nur, daß er sie nicht um irgend etwas gebeten hatte, das ihr unangenehm war. Das war das letzte, was sie brauchte.
»Turmfalke«, sagte er beunruhigt, »ich kann mich kaum an letzte Nacht erinnern. Die Erinnerungen an die Ameisentortur kehren meistens nur langsam zurück. Aber … danke.«
»Wofür?«
»Nun, ich bin mir nicht sicher, aber ich könnte dich um Dinge gebeten haben, die du … Ich denke, du hast mir mehr geholfen, als ich weiß«, endete er lahm.
Sie kam zu ihm herüber und setzte eine Tasse dampfenden Tees neben ihm ab. Sein Körper zitterte, als er sich auf einen Ellbogen aufrichtete und zu trinken versuchte.
»Ich habe gar nichts getan, Sonnenjäger Ich wünschte, ich hätte dir mehr helfen können.«
»Mehr?«
»Ja.« Sie kniete sich neben ihm nieder, und ihre längsten Haarsträhnen berührten den Boden. Sie sah so jung und unschuldig aus - und auch etwas ängstlich. Sie befeuchtete die Lippen. »Du hast immer gesagt, daß du den Weg durch das Labyrinth nicht finden könntest, und ich …«
Er schloß die Augen und ließ sich auf den Boden sinken. Wie hatte er das nur sagen können? Schon nach dem Angriff der Mammuts hatte er den Fehler im Otter-Klan-Dorf gemacht, und nun das. Wie lange würde es noch dauern, bis alle das Vertrauen in ihn verloren hatten und bevor niemand mehr den Mammut-Geist-Tanz tanzte? Er alleine konnte nichts erreichen. Die vereinte Kraft Tausender von Gläubigen war nötig, um auch nur die kleinste Veränderung zu bewirken. Ein schrecklicher Schmerz durchdrang ihn.
Turmfalkes Mund war offen geblieben, als ob sie befürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben. Sie hob eine Hand an die Lippen. »Es tut mir leid. Habe ich …«
»Nein, du hast nichts falsch gemacht«, sagte er. »Nur ich. Mach weiter, bitte! Was habe ich gesagt?« Er hatte plötzlich den erschreckenden Gedanken, daß er ihr eines seiner tiefsten Geheimnisse verraten haben könnte. Nicht, daß er sehr viele hatte oder sie für irgend jemanden außer ihm selbst ein besonderes Interesse bargen, aber sie gehörten ihm. Und ob das nun richtig war oder falsch, er zog es vor, daß das so blieb.
Turmfalke verflocht die Hände im Schoß. »Du sagtest, daß die Windung eine Falle sei und du durch aufeinander zulaufende Wände dorthin gelenkt würdest. Und daß du dann fällst und die Dunkelheit dich verschlingt. Dann sagtest du etwas darüber, daß du dich nirgendwohin wenden könntest und den Weg verloren hast.«
Er nickte und seufzte. »Ja, so fühlt es sich an. Was habe ich noch gesagt?«
»Du sagtest, daß die Geister dich verlassen hätten.« Schnell fügte sie hinzu: »Aber das ist natürlich nicht wahr. Die Geister würden dich niemals verlassen. Du bist ihr größter Träumer.« »Bin ich das?«
»Natürlich.«
Ihre Augen leuchteten. Wieder fühlte er Übelkeit in sich aufsteigen. Schwach richtete er sich nochmals auf und schlürfte mehr von seinem Tee. Von dem würzigen Gebräu wurde ihm etwas besser. »Ist das alles, Turmfalke?«
»Ja. Zumindest kann ich mich sonst an nichts Wichtiges erinnern.« Sie betrachtete ihn beinahe atemlos, als erwartete sie, daß er den Dingen, die er während der Ameisentortur gesagt hatte, die Schärfe nehmen oder sie sogar rundweg abstreiten würde.
Er starrte auf die blaßgrüne
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