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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sie über einen niedrigen, felsigen Paß am Südzipfel des Mammutgebirges geführt, und nun kamen sie in die Vorberge auf der anderen Seite. Im Norden ragten schneebedeckte Gipfel in den blauen Himmel. Doch Turmfalke ließ die Blicke nach Westen wandern, wo das Land flacher wurde und allmählich abfiel. Dunkle Flecken von Zuckerbirken füllten die auf das Meer zulaufenden Bachtäler. Zwischen den Tälern schimmerte unter den schräg einfallenden Strahlen der Sonne eine Handvoll verstreut liegender kleiner Seen in grünlich-goldenem Glanz.
    »Versuch doch zu trinken, Baby.« Turmfalke drückte dem Baby die Brust in den Mund, doch wieder drehte Wolkenmädchen kreischend den Kopf weg und schlug mit den winzigen Fäustchen um sich.
    »Baby, was brauchst du? Was ist los?«
    Das Geschrei machte Turmfalke fast wahnsinnig. Es hörte überhaupt nicht mehr auf. Außer sich nahm sie Wolkenmädchen auf den Arm. Durch die Bäume fiel Sonnenlicht und wärmte ihr Gesicht, als sie den Pfad zum See hinablief. Wolkenmädchen schien die Bewegung zu gefallen. Ihr Geschrei ging in ein Wimmern über. Turmfalke klopfte ihr auf den Rücken, um ihr Erleichterung zu verschaffen.
    Wahrscheinlich hatte Wolkenmädchen Blähungen.
    »Wenn wir daheim wären, könnte ich das schnell wieder in Ordnung bringen, Baby. Das ganze Gebiet des Bär-Schaut-Zurück-Klans ist voll mit Steinbeeren und Nesseln, aber wo soll ich hier danach suchen? Das Land und die Pflanzen sind so verschieden.«
    Turmfalke schritt über eine Wiese blauer Wildblumen und suchte nach dem Winterdung eines Steppenbisons oder, wenn sie Glück hatte, eines Waldbisons. Den Mist eines Steppenbisons fand sie zuerst.
    »Es dauert nicht lange, Wolkenmädchen. Bitte sei brav und weine nicht.«
    Doch sobald Turmfalke Wolkenmädchen auf das weiche Gras gelegt hatte, fing das Baby wieder an, schrill zu schreien. Mit ihren drei Wochen hatte Wolkenmädchen schon die Lunge eines zwei Monate alten Kindes. Turmfalke beeilte sich. Sie hob Wolkenmädchens Hemdchen hoch und band dann die Kaninchenfellhose auf und zog sie ihr aus, um darin nach der durchweichten, gepreßten Rindenschicht zu schauen. Die Hose, nicht mehr als ein gefaltetes, quadratisches, an den Seiten zusammengenähtes Fellstück mit zwei Beinlöchern unten, hatte eine Schutzschicht aus ineinander verwobener, geschälter Rinde in den Schritt eingenäht, die mit saugfähigen Fasern gefüllt wurde. Die Schutzschicht lag direkt an Wolkenmädchens Körper und hielt sie trocken. Die Frauen des Bär-Schaut-Zurück-Klans benutzten im Verlauf des Jahres je nach Saison eine Vielzahl verschiedener Fasern. Im Winter sammelten sie abgestorbenes Moos oder trockenen Mist, im Frühjahr flauschige Pappelsamen und im Herbst Rohrkolben.
    Turmfalke stülpte die Hose um und schüttelte das alte Saugmaterial auf das Gras. Dann zerkrümelte sie den Bisonmist und steckte ihn zwischen die Schicht aus gewobener Rinde und das Leder. Er würde alle Feuchtigkeit aufsaugen, die durch die Rindenschicht drang. Turmfalke zog Wolkenmädchen nicht wieder an; statt dessen nahm sie die Hose und ihre schreiende Tochter und ging mit ihr zum See. Sie vermengte zerquetschte Minze mit Wasser und wusch ihre Tochter gründlich. »Na, Wolkenmädchen, fühlst du dich jetzt besser?« fragte sie, als sie die Hose über die dicken Beinchen streifte und wieder zusammenband.
    Wolkenmädchen schrie aus voller Kehle, bis sie fast keine Luft mehr bekam. Turmfalke stand schnell auf und begann, wieder mit ihr umherzulaufen. »Muß ich dich die ganze Nacht herumtragen, um dich bei Laune zu halten, Töchterchen?« Sie umkreisten den See mit seinem dichten Ring aus Teichbinsen, die im seichten Wasser wuchsen. Rotdrosseln saßen auf den Halmen und legten mißtrauisch den Kopf schief, als Turmfalke vorbeilief.
    Zwischen den Binsen sprossen auch dichte Flecken von Wasserpfeffer. Turmfalke pflückte die jungen Schößlinge und aß sie gierig. Sie schmeckten bitter, waren aber zart. Um bei Kräften zu bleiben, hatte sie gegessen, was immer nur zu finden gewesen war, doch ihre Milch war zurückgegangen, und noch nie in ihrem Leben war sie so hungrig gewesen.
    Wolkenmädchen hörte so unvermittelt auf zu schreien, daß Turmfalke plötzlich im Gras stehenblieb.
    »Meine Güte, Töchterchen, sind die Blähungen so schnell vorbei?«
    Wolkenmädchen blickte sie aus weit geöffneten Augen an. Erleichtert küßte Turmfalke ihre Tochter auf die Stirn. »Komm, legen wir uns hin und versuchen zu schlafen.

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