Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
etwas wie eine Geistermacht, um seine Ziele zu erreichen. Hat was mit einer Maske zu tun, die einen Hexenmeister aus ihm macht.«
»Ich werde Rote Mokassins erzählen, daß dich das jetzt beschäftigt. Ist doch nichts Ernstes, oder? Es scheint dich nicht besonders aufzuregen.«
»Ich mich aufregen? Über zwei Anführer, die sich um das Prestige ihres Clans streiten? Sie sind weit weg, oben am Mondmuschelfluß. Um überhaupt hinzukommen, mußt du erst den Schlangenfluß hinauffahren. Warum sollte ich mich da aufregen? Ich fahre in die entgegengesetzte Richtung - zu den Seen an der Quelle von Vater Wasser.«
Viertöter scharrte unruhig mit den Füßen. »Ich weiß, wo das Kupferland liegt. Die Strecke führt über den Ilinifluß. Da werden die Khota versuchen, dich zu erwischen, so wie damals meinen Onkel.« Er hielt inne und biß sich auf die Lippen. »Das hat mir schon immer Sorge gemacht, daß wir die Asche des Onkels nicht zur Stadt der Toten gebracht haben. Sein Geist ist da irgendwo, streift unruhig umher und bringt Unheil.«
»Ich komme nicht einmal in die Nähe der Khota. Die sind noch eine halbe Tagesreise vom Ilinifluß entfernt. Nein, ich fahre direkt zu Vater Wasser und dann ins Kupferland. Vielleicht bekomme ich einige dieser Panflöten und etwas Silber. Beides ist im Süden sehr begehrt.«
»Wenn es zu einem Krieg zwischen den Schlangenclans kommen sollte, würde sich dann für uns etwas ändern?«
Otter schüttelte den Kopf. »Ich habe sie schon früher streiten hören. Wenn Glimmervogel seinen Gegnern kein Angebot macht, wird man Kriegstrupps losschicken, und es wird Überfälle und Kämpfe geben, alles im Namen der Ehre. An Ende wird dann einer der anderen Clans Frieden stiften.«
Viertöter stützte die Hände in die Hüften und sagte mit scheuem Grinsen: »Du versetzt mich in Erstaunen. Du sprichst so sicher von fremden Clans und Kriegen in fernen Ländern. Du kennst diese Männer, die man für Sagengestalten halten könnte, und errätst schon, wie sie handeln werden.«
»Ach, Viertöter, mein Waffenbruder, die Menschen gleichen sich alle, ob sie darüber streiten, wer die Hickorynüsse aus dem Vorratshaus gestohlen hat oder wie die Grenzen der großen Clans am Schlangenfluß verlaufen sollen. Ob sie Häuptlinge oder Fischer sind, sie gleichen sich alle. Nur die Ursachen der Streitigkeiten sind unterschiedlich.«
Viertöter schaute wieder zu den Kronen der Bäume hinauf, in die das Flughörnchen geflohen war.
»Diesmal… ich wünschte, du würdest nicht gehen.«
Otter sagte leise: »Ich muß gehen. Du weißt, warum.«
Viertöter seufzte, den Blick weiter nach oben gerichtet. »Wahrscheinlich, weil soviel vom Krieg geredet wird.«
Erst jetzt erkannte Otter, daß sein Unbehagen nicht mit Rote Mokassins und ihrer Einladung zusammenhing. »Was ist los mit dir, Bruder?«
Viertöter erschauerte, aber dann erzählte er: »Ich hatte gestern nacht einen Traum. Wasser fiel in endlosen Kaskaden, zuerst kristallklar, dann wurde es weiß wie Schnee. Dann erscholl Donner, überall, krachend und dröhnend, jeden anderen Laut im Land erstickend, und die Erde bebte. Das Wasser floß und floß. Darüber schwebte feiner Wasserdunst, und das Sonnenlicht zerlegte ihn in zehnmal zehn Regenbogen.«
»Das war ja ein toller Ort.« Otter schürfte mit der Axt Rinde von einem Stamm. »Hast du auch Geister gesehen?«
Viertöter versuchte, sich an seinen Traum zu erinnern. »Ich habe keinen Geist gesehen, Bruder. Nur den Körper, der den tosenden Wasserfall hinunter in die Strudel rollte. Da wurde er herumgewirbelt, als würden die Wassergeister mit ihm spielen, ihn tanzen lassen.«
»Erzähl weiter.«
Viertöter scharrte mit seinen Mokassins auf dem Boden. »Der Körper drehte sich mit ausgebreiteten Armen im Wasser, der Kopf tauchte auf und wieder unter, und das schwarze Haar schwamm ausgebreitet um ihn herum, so zart wie Quellenmoos.
Ich stand auf einem schwarzen Felsen, und die gischtigen Wellen spritzten auf meine Füße. Es war kalt, Otter. Da brach ein Sonnenstrahl durch den Himmel, glitzerte in der tanzenden Gischt, versilberte die Wassertropfen und fiel golden auf dein Gesicht. Du warst tot, Bruder, und deine Seele tanzte noch auf dem Wasser.«
Otter hatte gebannt zugehört. Jetzt schüttelte er das furchtbare Traumerlebnis ab, faßte sich und lachte leise, um seinen niedergeschlagenen Bruder aufzuheitern.
»Du hast dich immer vor dem Fluß gefürchtet, Bruder.« Otter streckte die Hand aus. »So
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