Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
der Feldarbeit beginnen.
Sternmuschel rutschte auf einer glatten Stelle aus, fing sich wieder und achtete nun besser auf den Pfad. Ihre Füße waren so kalt geworden, daß sie schmerzten. »Glaubst du im Ernst, Wanderdrossel hätte nicht gewußt, daß wir nach Norden gehen? Er weiß, daß ich aus dem Sternhimmelclan bin und kann sich denken, daß ich zu meinem Clan zurücklaufe.«
»Damit rechne ich.« Langer Mann schien unbeteiligt.
»Und das ist doch auch unser Ziel, oder?«
»Wie kommst du darauf?«
»Wir sind auf der Heiligen Straße. Wir müssen die Maske zum Brüllenden Wasser bringen. Da liegt es nahe, daß wir zur Sternhimmelstadt gehen, um uns Verstärkung zu holen und dann zum Roßkastanienclan weiterwandern und von dort immer noch weiter.«
»Mitten im Winter? Überleg einmal, Sternmuschel. Die Nachricht von deinem Ehemann verbreitet sich schneller als die Sonnenstrahlen am Morgen. Wanderdrossel kann sich denken, daß wir auf der Flucht sind. Du glaubst doch nicht, daß eine Frau, ein kleines Mädchen und ein kurzbeiniger Alter schneller laufen können als eine Horde Krieger?«
»Aber warum sind wir dann auf der Heiligen Straße?«
»Nur für kurze Zeit, Sternmuschel. Wir müssen uns beeilen, das ist wahr, aber ich habe ein bestimmtes Ziel im Auge. Gegen Morgen werden wir das Territorium der Blauenten erreichen. Danach können wir uns auf einem mir bekannten Gehöft ein paar Tage ausruhen und neue Kräfte sammeln.«
»Auf einem Besitz der Langschädel?« Sternmuschel zuckte zusammen, als die Eule schrie. »Dort wird Wanderdrossel auch nach uns sehen.«
»Wie will er wissen, wo er suchen soll?« Der Zauberer ging weiter, und er schien so frisch zu sein wie bei ihrem Aufbruch vor vielen Tagen.
Es war alles so schnell gegangen - die Entdeckung ihres Mannes, die Versammlung im Haus der Töpfergesellschaft und die nächtliche Flucht. Sternmuschel überdachte ihre mißliche Lage, und sie erschien ihr immer hoffnungsloser.
Warum überlassen wir die Maske nicht einfach Wanderdrossel? Dann würde ich mit Silberwasser so weit wie möglich vom Blauentenclan und aus dem Mondmuscheltal weglaufen.
Sternmuschel konzentrierte sich auf den Weg; Atemwölkchen stiegen ihr aus Mund und Nase. Die Kälte biß in ihre Haut, nie würde ihr wieder warm werden.
»Ich habe Hunger«, sagte Silberwasser mit leiser Stimme.
»Wir werden bald etwas essen.« Aber was? Sie waren aufgebrochen, ohne Vorräte mitzunehmen.
Alles war in großer Hast geschehen.
Es war ganz still, aber Sternmuschel hörte das Knarren. Würde sie jemals wieder die Augen schließen können, ohne den grausigen Leichnam vor sich zu sehen, wie er an dem Seil baumelte? Dieses Bild würde sich immer in ihre Träume drängen und den Seelenfrieden stören, nach dem sie sich so sehnte.
Sie wußte, daß seine Seele noch bei den Sonnenhügeln war. Um die schwache Verbindung zwischen ihnen abreißen zu lassen, schaute sie nicht zurück. Sonst fände sein kranker Geist womöglich noch die Kraft, die Sperrpfosten zu überwinden und sie zu verfolgen.
Morgen würde alles besser sein. Dann würde sie wissen, daß das Clanhaus in Brand gesetzt worden war und die Flammen das Schreckliche, das dort hing, verzehrt hatten.
In ihrer Phantasie beschwor sie das Bild, wie sich die Flammen durch die Bodenmatten fraßen, wie sie an den Wänden emporzüngelten und die Holzbalken verkohlten, bis sie schließlich durch das Schilfdach in den Nachthimmel schössen. Mit gelben Zungen umtanzten sie die Füße ihres Mannes und gewannen neue Kraft. Sie konnte sein Gesicht sehen, das im flackernden Licht glänzte. Die Flammen spiegelten sich in seinen aus den Höhlen getretenen Augen wider, erfaßten sein Haar und stobend als Funken davon, die wie Tränen aus der Erinnerung verschwanden.
Sternmuschel stolperte.
»Mama!« rief Silberwasser.
Sternmuschel fiel zitternd auf die Knie, und ein unbeherrschtes Schluchzen schüttelte sie.
»Mama, was hast du?« schrie Silberwasser und brach in Tränen aus.
Sternmuschel zog ihre Tochter an sich, und beide schluchzten voller Verzweiflung.
Alles ist gut! Morgen ist sein Fleisch nur noch Asche, sind vom Seil nur noch verkohlte Fasern übrig, die reißen werden, und dann stürzen seine elenden Knochen ins Feuer.
Die Kälte in ihren Beinen brachte Sternmuschel in die Realität zurück. Sie wischte sich die Tränen ab und sah ihre Tochter an, die so schwach und bleich aussah im Licht der Sterne.
»Ist alles in Ordnung, mein Kind?«
»Ich
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