Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
seiner Hände, die im Dunkel ihren Arm umklammerten, seine heißen Tränen, die ihr Haar benetzten.
»Heilige Geister, was können wir tun? Wie können wir ihn retten?«
Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.
»Aber ich finde einen Weg, das verspreche ich dir. Ganz bestimmt!«
Mit bebender Hand wischte sie sich über die schweißnasse Stirn und kämpfte gegen diese Laute und Gesichter an, um sie zu verdrängen. In ihr verbarg sich ein geheimer Käfig mit Erinnerungen, schwärzer als schwarz, angefüllt mit grausigen, sich windenden Dingen. Vor langer Zeit hatte sie diese Erinnerungen eingefangen und dort eingesperrt, so dass sie immer wusste, wo sie waren, und nie von ihnen überrascht werden konnte. Eine ihrer Seelen bewachte den Käfig zu allen Zeiten, aufmerksam darauf bedacht, dass nie eines der Schreckensbilder entweichen konnte.
Nur die Augen von Kupferkopf waren frei geblieben, die einzige Erinnerung, die sie nie hatte einfangen und beherrschen können.
Da war ein schwaches Rascheln. Palmwedel streiften über Stoff. Muschelweiß hielt den Atem an.
Sandalen zertraten kleine Zweige.
Lautlos tastete sie den Boden zu ihrer Linken ab. Leer. Mit der anderen Hand untersuchte sie die Stelle rechts. Nichts. Sie schob ihre Hand unter die Decke - und da fand sie ihr Atlatl und die Speere. Dort, wo sie auch zu Hause in ihrer Hütte immer lagen. Ihr Gefährte wusste, was sie brauchte.
Ihre Seelen taumelten abermals durcheinander, Erinnerungen stürzten auf sie herab, blitzten auf und entglitten ins Nichts. Einen Schrecken erregenden Augenblick lang wusste sie nicht mehr, was sie gewollt hatte.
Ihre Hand - war das glattes Holz? Richtig! Vorsichtig nahm sie sich einen Speer und legte ihn sich über den Bauch. Die Bewegungen waren so schmerzhaft, dass sie in Ohnmacht zu fallen drohte. Sie konnte nur noch unter Qualen atmen.
Weiteres Preschen durchs Dickicht; Arme, die Kletterpflanzen zur Seite warfen. Die herunterfallenden Schlingen klatschten gegeneinander wie Trommelschläge in unregelmäßiger Folge. Muschelweiß wartete ab.
Teichläufer trat aus dem Wald heraus. Er trug in einer Hand ein tropfendes Netz voller Fische, und in der andern einen kleinen Korb mit Sonnentaublättern. Um eine Gruppe von Fächerpalmen herum ging er ruhig zu seiner Feuergrube, stellte dort Netz und Korb ab, schüttelte sich das lange weiße Haar aus dem Gesicht und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der spitzen Nase und den Wangenknochen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Muschelweiß sich bewegte. Sie stieß einen Seufzer aus.
Teichläufer eilte zu ihr. »Bist du wach? Wie fühlst du dich?«
Muschelweiß schluckte; sie blinzelte, als ob ihr Kopf ihr selbst kleinste Augenbewegungen verbot.
Das silbern melierte schwarze Haar klebte in Strähnen an ihren Wangen, umrahmte ihre Stupsnase und betonte die tiefen Linien auf ihrer Stirn.
»Besser«, flüsterte sie.
Teichläufer langte über ihren Kopf hinweg zu dem Tuch, das in einer Kalebasse mit frischem Wasser bereitlag, und wusch ihr das Gesicht. Die kühlende Feuchtigkeit schien ihr wohl zu tun. Er bemühte sich, besonders vorsichtig zu sein, so leicht wie Meerschaum, um ihr nicht wehzutun.
»Bist du kräftig genug, um etwas zu essen?« fragte er. »Ich habe aus Palmwedelstreifen ein Netz geflochten und vier Fische gefangen.«
»Ja, ich sollte etwas essen, ich brauche Kraft.«
Sie versuchte, sich auf die Seite zu wälzen, und ließ ein schwaches Ächzen hören. Dann sank sie wieder auf den Rücken.
Teichläufer strich ihr begütigend übers Haar, das der Schweiß so benetzt hatte, dass es sich wie Otterfell anfühlte, unbeschreiblich weich. »Da ist noch etwas Minztee. Ich mach ein Feuer, um ihn aufzuwärmen, und dann brate ich den Fisch«, sagte er. »Wenn wir gegessen haben, sehe ich wieder nach deiner Wunde.«
»Noch einmal?«
»Ja, ich habe sie heute früh gereinigt.«
»Wie hat die Wunde ausgesehen?«
Er zögerte, unsicher, ob er es ihr erzählen sollte. Die Kopfhaut war bis auf den Schädelknochen aufgerissen. Als er das ganze geronnene Blut abgewaschen hatte, war der blanke Knochen zu sehen gewesen.
Sie spürte sein Widerstreben und sah ihn finster an. »Sag's mir. Sofort!«
»Die Kriegskeule hat dir die Kopfhaut aufgerissen. Man kann ein Stückchen vom Schädel sehen.«
»Ein Stückchen? Wie groß?«
Er machte eine verlegene Geste. »Daumengroß.«
Sie nickte und schloss die Augen. »Ich danke dir, Teichläufer, dass du dich um mich kümmerst.«
»Dazu
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