Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
dass ich das hier ganz wunderbar hegen und pflegen werde.«
Du bist ein aufmerksames Kind. Ich hätte mir ja selber wieder einschenken können, aber ich bin dankbar für deine Hilfe. Meine Hände sind nicht mehr so ruhig wie früher. Diese Krankheit, die mir die Knochen versteift, wird auch - ja danke, das reicht - jeden Sommer schlimmer. Eines Tages wirst du begreifen, dass es nur drei Dinge gibt, die wirklich wichtig sind im Leben: eine Tasse warmen Tees, eine Decke in kalter Nacht und die Berührung von jemandem, den du liebst. Alles andere ist nur unnötiger Ballast. Hm, das ist wirklich guter Tee. Wo hast du um diese Zeit noch Minze gefunden?
Also der ist wirklich gut, auch wenn er von getrockneten Blättern stammt. Mal sehen … Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Tauchvogel.
Also es stand nicht sehr gut für ihn. Trotz seiner inneren Abwehr zermürbte ihn der Aufenthalt im Dorf des Stehenden Horns. Zweifel befielen ihn. Er war sich nicht mehr sicher, ob die Frau, die er aus vollem Herzen liebte, an den Verbrechen unschuldig war, die Kupferkopf ihr zuschrieb. Schon die Möglichkeit, dass Muschelweiß so eine Neigung zur Grausamkeit zweimal zehn und fünf Sommer lang vor ihm verborgen gehalten hatte, stellte alles auf den Kopf. Was? Sprich lauter! Ich kann kein Wort hören. Na ja, denk mal nach. Wenn Menschen sich verlieben, mein Kind, fallen sie und brechen sich das Genick. Danach laufen sie ein paar Monde lang verletzt herum, und da gibt es nur einen Weg, um den Schmerz zu lindern, und das ist, ins Herz des oder der Geliebten zu kriechen und sich dort einzunisten. Die Liebe verschafft einem die innere Vertrautheit, die menschlicher und kostbarer ist als alles andere auf der Welt. Das ist ganz wörtlich zu verstehen: Liebende leben dauernd innerhalb derer, die sie lieben, auch wenn sie weit voneinander entfernt sind.
Tauchvogel also litt unter der Unsicherheit, die ihn quälte. Die Möglichkeit, dass seine Frau vielleicht etwas vor ihm geheim gehalten hatte, ja dass sie so etwas sogar fertig gebracht hätte, das hinterließ eine Leere in ihm. Es tat ihm weh.
Hm?
Nein, nein. Es war nur Unsicherheit. Tauchvogel liebte sie viel zu sehr, um aufgebracht zu sein.
Außerdem hatte er all seine Wut für den Herrn seiner Folterknechte aufgespart. Kupferkopf, andererseits, war von Tauchvogel so besessen wie ein Mann, dem gerade einer der Leuchtleute durchs Dach gefallen ist und dem nun die Chance geboten wird, mit einem Gott zu reden …
Lass mich in Ruhe!« brüllte Tauchvogel und warf den Löffel in seine Schale mit Fischsuppe; die warme Brühe spritzte ihm auf die Hände. »Kannst du mich nicht einmal in Frieden essen lassen?«
Kupferkopf winkte seine Wachen hinweg und wartete, bis sie außer Hörweite waren. Dann griff er in das Kürbisgefäß mit Insektenfett, das am nordwestlichen Stützpfosten hing, und rieb sich Arme und Brust ein; langsam ging er durch die Hütte zum südöstlichen Stützpfosten, wo er sich niedersetzte, das Gesicht Tauchvogel zugewandt. Das lange Haar hatte er zum Zopf geflochten. Die Glut des Sonnenuntergangs tönte seine silbernen Schläfen leicht rosarot.
Die Sonnenmutter schickte der Meerfrau eine karminrote Decke und verwandelte die Wellenspitzen in schaumiges Karneolrot. Delphine durchkämmten die Seichtstellen in Ufernähe; ihre Rückenfinnen durchschnitten das Wasser. Meeräschen sprangen erschreckt vor ihnen aus dem Wasser, segelten einen glorreichen Augenblick lang durch die Luft und tauchten wieder hinab.
Tauchvogel sah auf sein eigenes Essen. Muscheln, Algen und Sonnenfisch schwammen in der Brühe, die wunderbar roch. Beim Anblick von Kupferkopf hatte er den Appetit verloren, doch er aß dennoch gierig und fischte mit seinem Löffel einzelne Fischbrocken heraus. Wenn er Glück hatte, bekam er einmal am Tag etwas zu essen, und diese Suppe schmeckte wunderbar. Zum Essen banden sie ihm gewöhnlich die Hände und Füße los, und für kurze Zeit verging die Taubheit seiner Glieder, und der Schmerz ließ nach. Ganz abgesehen davon, dass er nach den Moskitos schlagen konnte; wenn er gefesselt war, trieben ihn die Insekten zum Wahnsinn. Anscheinend wollte niemand Insektenfett an ihn verschwenden; rote Striemen bedeckten seinen ganzen Körper, einschließlich der empfindlichen Stellen unter dem Lendenschurz. Kupferkopf hatte der alten Hexe Seestern gestern befohlen, ihm einen Schurz anzuschaffen, und dafür war Tauchvogel sehr dankbar, obwohl das bisschen Stoff den Rest seines
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