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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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…«
    Slumber Wanderfalke lag auf dem nassen Boden, zusammengekrümmt auf der Seite, einen Arm nach vorn ausgestreckt, als griffe sie nach irgend etwas. Strähnen ihres grauen Haares hingen ihr über das runzlige Gesicht, aber Maggie sah den heiteren Ausdruck auf dem Gesicht der Großmutter. Sie zwang ihre tauben Beine, weiterzugehen, und kniete nieder. Ein zerbrochenes Türkismesser hielt ihre Großmutter fest in der Hand, und daneben lag etwas, was wie ein uraltes Stilett aus Hirschknochen aussah. Maggie nahm behutsam Slumbers Handgelenk, um nach dem Puls zu fühlen. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. »O Großmama.« Sie ließ sich auf den nassen Boden nieder. Kyle kniete neben ihr. »Ist sie -«
    »Ja.«
    Er senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Maggie.«
    »Sie war todkrank, Kyle. Sie wußte es. Sie hat zwar nie etwas gesagt, aber sie muß ziemlich gelitten haben. Es ist nur - ich habe sie sehr geliebt.« Maggie schaute ihn aus tränentrüben Augen an. »Ich wünschte, sie hätte noch etwas länger bleiben können.«
    Er machte sich an seiner Sonnenbrille zu schaffen und nahm sie ab, so daß er sie richtig ansehen konnte. Er hatte sanfte braune Augen. Das Licht darin war wieder da, das sie einst innerlich ganz still gemacht hatte, als hätte sie durch eine Verbindungstür zwischen zwei Welten geblickt. »Der Mann … die Stimme, die ich gehört habe …«
    Maggie runzelte die Stirn. »Ja?«
    Er klappte die Brille zusammen und steckte sie in die Brusttasche. Er kämpfte offenbar mit sich, unsicher, wie er etwas formulieren sollte. Regentropfen schimmerten wie Perlen auf seinem blonden Haar. »Der Mann sagte: Wenn du willst, kannst du noch bleiben. Es muß nicht heute sein. Ich dachte nur, du möchtest vielleicht mitkommen.«
    Sie starrte ihn an.
    Kyle war verlegen. Als hätte er es lieber nicht gesagt.
    Ihr ganzes Leben lang hatte Maggie Geschichten gehört, die man sich von ihrer Großmutter und von Geistern erzählte, aber darüber hatte ihre Großmutter nie mit ihr gesprochen. War das der Grund, warum ihre Großmutter unbedingt mitkommen wollte? Hatte ihr ein Geist erzählt, sie werde frei sein, wenn sie heute Maggie hierher begleitete? Befreit von ihrem kranken Körper? Von den Schmerzen? Frei…
    Maggie wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab. »Sie wollte gehen, ich bin sicher. Ich mache ihr keinen Vorwurf.«
    »Bleib hier bei ihr. Ich laufe zum Besucherzentrum und hole Hilfe.«
    Maggie nickte, aber als er zum Pfad lief, rief Maggie: »Kyle!«
    Er drehte sich um. Der Wind zauste an seinem blonden Haar.
    »Vielen Dank. Daß du mir von der Stimme erzählt hast.«
    Er zuckte die Achseln. »Das ist der Ort, Maggie. Er spricht zu mir.« Er hob grüßend eine Hand und ging weiter.
    Maggies Blick folgte ihm, bis er außer Sicht war. Dann drückte sie die zerbrechliche alte Hand der Großmutter. Der Wind blies die grauen Locken über Slumbers friedvolles altes Gesicht. »Ich schätze, die Shiwana sehen bloß die Farben der Menschenseelen, nicht wahr, Großmama?«

1. K APITEL
Sonnenkreis des Büffels Mond des Fallenden Schnees
    Die Mokassins von Nordlicht folgten ihr geräuschlos.
    Rehkitz drehte sich um und sah ihn auf die Knie fallen, mitten auf dem Pfad, das weiße Priesterhemd im Licht der Sterne schimmernd. Riesige Sandsteinblöcke umringten ihn. Vor vielen Sonnenkreisen hatten sie sich von den hoch aufragenden Canyon-Wänden losgerissen und waren in die Tiefe getaumelt, wo sie nun, den ganzen Sonnenrückkehrpfad entlang, wie wachhabende Ungeheuer standen. Zwischen ihnen kniend, wirkte Nordlicht jämmerlich klein. Sein langes schwarzes Haar umflatterte ihn, als er sich vor und zurück wiegte, das Gesicht in den Händen, das Halsband mit den Kupferglöckchen klingelnd. Er rief wie ein Kind, das sich verirrt hatte.
    »Nein«, wimmerte er dauernd. »Nein, bitte nicht…«
    In der vergangenen Zeithand, in der die Sonne vom linken Rand der auf einen Punkt ausgerichteten Hand zum rechten Rand wanderte, war er zweimal stehengeblieben. Beim ersten Mal hatte er mit den Fäusten auf den Boden geschlagen. Diesmal weinte er untröstlich. Rehkitz wußte wenig von den Prüfungen der Priester, aber selbst sie erkannte, daß er zu Tode erschöpft war. Er hatte sechzehn Tage lang gebetet, nur Fruchtknoten von Kakteen gegessen und die Geister der Ahnen um Hilfe angefleht. Nun schien es so, als ließen ihn die Geister nicht in Ruhe.
    Rehkitz lehnte sich gegen einen Felsblock und faltete die Arme über ihrem fruchtbaren Leib.

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