Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
gemalt waren; Besucher hatten da gesessen, eine Mutter mit Tochter, und hatten gelacht und geredet, als Slumber ehrfürchtig staunte. Heute saß niemand drinnen, aber sie sah halb durchsichtige Gegenstände, Matten aus Weiden geflochten, schwarzweiße Töpfe und Reihen von Körben. Die Geister hatten sicher auswärts zu tun. Slumber wollte sich gerade abwenden, als sie direkt vor ihren Füßen etwas Blaues und Glänzendes aus der Erde ragen sah. Sie bückte sich, grub es mit den Fingern aus und wischte den Sand darauf ab. Ein wunderbares Türkismesser kam zum Vorschein, in zwei Teile zerbrochen. Slumber richtete sich auf, um sich die Teile genauer anzusehen, und bewunderte die phantastische Handarbeit. Niemand in der heutigen Zeit war imstande, Türkis so zu bearbeiten; das mußte ein Meister -
»Ich habe auf dich gewartet.«
Slumber schaute auf. Wie so viele Männer, die sie hier in der Vergangenheit gesehen hatte, trug auch er ein uraltes Gewand, schwarzer Stoff mit einem Ornament weißer Spirallinien. Ein Türkis-Anhänger in Gestalt eines Wolfs hing ihm um den Hals. In der linken Hand hielt er eine Flöte, und er schien ihr in die Augen zu sehen.
»Sprechen Sie… sprechen Sie mit mir?«
Er lächelte. »Ja, Die-die-Toten-heimsucht.«
Slumber trat näher an ihn heran. Vielleicht war er ja lebendig, und ihr Augenlicht ließ sie im Stich. Er war in der Tat schön. So etwas hätte sie nie zuvor von einem Mann gesagt. Hochgewachsen, mit langen dichten schwarzen Haaren, hatte er Augen in der Farbe von Mahagoniholz. In dieser dunklen Tiefe schien ein warmes Licht.
»Woher kennen Sie den Namen, den meine Leute mir gegeben haben? Kenne ich Sie?« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Komm. Wir müssen uns beeilen, wenn wir die Wolken als Trittsteine in die Himmelswelten benutzen wollen. Der Sturm verzieht sich.« Er trat näher an sie heran. »Du hast die Wahl, Die-die-Toten-heimsucht. Du kannst noch eine kurze Weile bleiben - oder jetzt gehen. Mit mir.«
Tränen stiegen ihr in die Augen, denn nun verstand sie. Sie hatte nicht gedacht, daß sie Angst haben würde, aber das hatte sie. Ein bißchen. Instinktiv wandte sie sich zu Maggie um. Ihr Herz war voller Sehnsucht, ihre Enkelin würde ihr fehlen. Maggie war so gut zu ihr gewesen. Die Knie zitterten ihr. »Wenn du willst, kannst du noch bleiben«, wiederholte der Mann freundlich. »Es muß nicht heute sein. Ich dachte nur, du möchtest vielleicht mitkommen.«
Slumber holte tief Luft und drehte sich zu ihm um. »Es ist Zeit für mich. Ich habe große Lust, die Krankheit hinter mir zu lassen.«
Er streckte die Hand etwas weiter aus und lächelte. »Leg deine Hand in meine, und dein Schmerz wird vergehen.«
Slumber fuhr sich mit der Zunge über die runzligen Lippen, trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand… Maggie legte die Arme um sich, als Marisa Fenton über die Plaza stampfte, zu ihrem Jeep auf dem Parkplatz. Ihr hellbraunes Jackett flatterte im Wind.
Kyle Laroque stützte die Arme in die Hüften. Seine weißen Manschetten waren klatschnaß. »Sie ist nicht so übel, wie du denkst. Sie fühlt sich nur überrollt.«
»So wie ich.«
»Tut mir leid, Maggie. Ich hab natürlich nicht damit gerechnet, daß das hier in eine Keiferei ausartet. Ich hoffe, wir sind immer noch Freunde.«
Maggie zuckte die Achseln. »Kyle, ich weiß, der Canyon ist für dich ein heiliger Ort. Und vielleicht auch noch für ein paar andere in deiner Gruppe. Ich… ich werde mal mit der Verwaltung und den hiesigen Stämmen sprechen. Es muß eine Lösung geben. Einen Kompromiß, der für uns alle annehmbar ist.«
»Ich danke dir, Maggie«, sagte er aufrichtig. »Mehr verlangen wir ja nicht. Ich …«
Ein merkwürdiger Ausdruck des Erschreckens zeigte sich auf seinem gebräunten Gesicht. Er legte den Kopf schräg, wie um zu lauschen.
»Was ist los, Kyle?«
Er mußte schlucken. »Maggie, ich… Hast du diese Stimme gehört?« Er drehte sich halb um und spähte in den Hintergrund des Pueblos. »Es war eine Männerstimme, eine tiefe, schöne Stimme.« Maggie bemerkte plötzlich, daß ihre Großmutter nicht mehr auf der Mauer saß, wo sie zuletzt gesessen hatte, und Panik ergriff sie. Ihr wurde so heiß, als hätte sie Feuer in den Adern. Sie rief: »Großmama? Großmama, wo bist du?«
Sie rannte los, stürmte über die Plaza, und Kyle folgte ihr auf den Fersen. Sie spähten in einen leeren Raum nach dem anderen und liefen dann zu dem Pfad, der…
Die Beine versagten ihr. »Oh
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