Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
ab, daß du ein Kind von einem anderen Mann hast?«
»Aber natürlich!«
Krähenbarts Hände zerknüllten die Decken. »Eisenholz? Muß es sagen … Eichelhähers Brut. Wo ist Eisenholz? Ich will meinen Kriegshäuptling! Eisenholz? Eisenholz?«
Wie von Schrecken übermannt legte Nachtsonne eine Hand auf den Mund.
Schlangenhaupt lachte hämisch in sich hinein, und Nachtsonne fuhr herum und starrte ihn an. Spannerraupe warf ihr einen fragenden Blick zu, als er vorüberging, aber sie schaute ihn nicht an. Er beugte sich über das Bett des Häuptlings. Dessen Nasenlöcher hatten sich verengt, als könnte er nicht genug Luft bekommen. »Eisenholz holt Düne, mein Häuptling«, sagte Spannerraupe. »Ich bin Spannerraupe, sein Stellvertreter.«
»Näher…« Die Augen Krähenbarts wanderten, als suche er ihn durch eine Nebelwand hindurch. »Näher.«
Spannerraupe kniete nieder. »Was ist dein Wunsch, Häuptling?«
Ein gespenstisches Glitzern trat in Krähenbarts Augen. »Der Enkel meiner Schwägerin… ja, ich erinnere mich. Du hast mir immer… treu… gedient. Aber du weißt, wenn jetzt ein Erlöser käme … dann würde sich herausstellen, daß du Feuerhundblut in dir hast. Verstehst du?«
Spannerraupe runzelte die Stirn. »Nein, mein Häuptling. Sag mir, was du verlangst. Ich werde alles tun, was du willst.«
Krähenbart streckte eine unsichere Hand aus und berührte den Mokassin von Spannerraupe in einer Geste des Vertrauens. »Ich will… daß du das Kind findest«, sagte er. »Hörst du mich? Daß du das Kind findest?«
»Ja, daß ich das Kind finde. Und dann?« »Tö-töte es.«
»Krähenbart« stieß Nachtsonne hervor. »Um der Götter willen! Es gibt kein Kind!« Krähenbart spielte mit den Lederfransen an dem Mokassin. »Finde das Kind!« wiederholte er. »Du mußt… du mußt… das Kind töten!«
Spannerraupe hob den Kopf und sah Nachtsonne starr an. »Wo ist das Kind?«
Nachtsonne schlang die Arme um sich. »Ich habe die Wahrheit gesagt, Großneffe. Es gibt kein Kind.« Schlangenhaupt packte seine Mutter am Ärmel und drehte sie zu sich herum. Sein Purpurhemd stach gegen das Dunkelrot ihres Kleides ab. »Mein Vater sagt, du hast ein Kind geboren, als er in Handelsgeschäften unterwegs war. Wo ist es? Antworte mir!«
Es dauerte nicht einmal einen Herzschlag, und Nachtsonnes verzweifelte Sorge schlug in Wut um. Mit aller Kraft ihres schlanken Körpers schlug sie ihren Sohn ins Gesicht. »Sprich nie wieder so mit mir, mein Sohn!«
Schlangenhaupts Mund verzog sich zu einem wütenden Schmollen, aber er wich zurück. Spannerraupe stützte die Hände in die Hüften. »Was willst du, Schlangenhaupt? Wenn da ein Kind ist, müssen wir erfahren, wo es ist, sonst können wir den Befehl der Gesegneten Sonne nicht ausführen.«
Schlangenhaupt schien alle Möglichkeiten abzuwägen. »Kriecher?« Er wandte sich zu dem kleinen, dicken Mann mit dem jettschwarzen Haar. »Du bist ein Ältester vom Bison-Clan. Was hat dein Volk für Wünsche? Wem glaubst du?«
Kriecher sah Spannerraupe flehend an. Viele Sommer lang war Kriecher wie ein Vater zu Spannerraupe gewesen und hatte ihm Dinge beigebracht, die ein Junge wissen sollte, und ihm die überlieferten Legenden erzählt. Kriecher war der einzige andere Mensch auf der Welt, der Federstein verstand und liebte. Und Federstein liebte Nachtsonne. Spannerraupe wußte, daß das eine furchtbare Tortur für Kriecher war - über das Schicksal von Federsteins Tante zu entscheiden. Kriecher schwenkte hilflos die Arme. »Wir müßten es genau wissen. Wenn da ein Kind ist, dann -« »Wir müssen sie zwingen, es uns zu sagen«, brüllte Dachsbogen. Er biß die Zähne zusammen und schaute Nachtsonne finster an. Sie erwiderte seinen Blick mit flammenden Augen. Dachsbogen sagte: »Das Kind zu finden, war vielleicht Krähenbarts letzter Befehl. Wir sind verpflichtet, ihn zu befolgen.«
Spannerraupe sagte: »Wenn die Leute das erfahren, gibt es Aufruhr. Keine Frau der Ersten Menschen ist jemals bei solch einem Verbrechen ertappt worden. Manche werden sogar ihre Hinrichtung fordern, aber die meisten -«
»Die meisten werden sie verteidigen«, sagte Nordlicht, als er sich vor Nachtsonne stellte, so daß er jetzt zwischen ihr und ihren Anklägern stand. Glänzendes hüftlanges Haar hing ihm vorn über sein Priesterhemd.
Nachtsonne legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nicht!« flüsterte sie. Nordlicht drehte sich halb zu ihr um und sah ihr in die Augen. Als ob sie stumm ein
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