Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Schnee. Im Süden - und zum Nordwesten ansteigend - glänzten die Klippen vom Canyon des Rechten Wegs so naß, als hätte man sie mit frischem Blut abgewaschen.
Eisenholz reichte Nachtsonne seine Wasserblase.
Sie schaute auf seine ausgestreckte Hand und dann in seine Augen. »Ich mag dich nicht«, sagte sie. Er zuckte die Achseln. »Du mußt mich nicht mögen, um mein Wasser zu trinken.«
Eisenholz rückte näher, die Blase berührte fast ihren Arm. Nachtsonne nahm sie und trank, schaute ihn aber dennoch böse an. Sie sah wunderschön aus, gertenschlank in ihrem matt sandfarbenen Gewand. Sie zog ein Knie an, aber das andere Bein, lang und gebräunt, lag ungeschützt im fahlgrauen Gewitterlicht. Windgepeitschter Regen schmückte ihre Haut mit Perlen.
»Also, eine Weile müssen wir sicher noch hierbleiben«, sagte er. »Machen wir das beste daraus.« Er zog ein Säckchen mit getrockneten Hirschfleischstreifen aus seinem Bündel, schnürte es auf und reichte ihr ein Stück. Sie griff danach, und ihre Finger berührten sich kurz; ein merkwürdig prickelndes Gefühl durchfuhr ihn. Er zog die Hand zurück. Wie seltsam, daß ihre Berührung solche Empfindungen in ihm wachrief. Oder vielleicht auch nicht so seltsam; seit dem Tod seiner geliebten Frau, Lupine war er nicht mehr mit einer Frau allein zusammengewesen. Sein Körper erinnerte sich noch an die Beschaffenheit der Haut einer Frau, obwohl sich seine Seele sehr bemühte, es zu vergessen.
Er widmete sich seinem geräucherten Dörrfleisch, das seiner Zunge wohltat.
Die Donnervögel trieben das Gewitter nach Südosten, und schwingende Regenranken verdeckten die Sicht auf die Bärenklauenberge. Während das Feuer unter ihnen erlosch, blitzte es immer noch. Der Wolkenbruch dämpfte sich zu einem gleichmäßigen Plätschern. Auf dem gegenüberliegenden Canyon-Rand lief eine kleine Bisonherde. Sie erschien ihnen vor dem beifußbestandenen Hintergrund wie eine Sammlung schwarzer Flecken.
»Bisons«, sagte er ehrfürchtig. »Es ist lange her, daß ich sie so nahe am Canyon gesehen habe.« Nachtsonne folgte seinem Blick und runzelte die Stirn. »Als ich ein Junge war«, sagte Eisenholz, »nahm mich mein Vater immer mit, um die Herden zu beobachten. Wir haben sie nie gejagt, in der Gegend, in der wir lebten, waren nur noch so wenige übrig. Wir saßen einfach auf den Hügeln und sahen ihnen zu. In der Paarungszeit berühren sie sich gegenseitig sehr zärtlich - hast du das gewußt?« Sie gab keine Antwort, und er fuhr fort: »Der Bulle stößt die Kuh mit dem Kopf an, und sie reibt ihre Schulter an seiner Flanke. Und sie spielen die ganze Zeit, rennen und springen herum, und ihre Hörner verfangen sich.« Er lachte. »Aber selbst wenn die Köpfe zusammenstoßen, ist das selten ein richtiger Kampf, sondern eher ein vergnügliches Messen der Willenskräfte.« Er kaute wieder ein Stück Dörrfleisch.
Sie schaute ihn von der Seite an. »Fehlen sie dir?«
»O ja, sehr. Mir fehlt ihr lockerer Gang und die Art, wie sie die zottigen Köpfe beim Laufen werfen.« Er machte eine Pause. »Aber am meisten fehlt mir der Blick in ihre Augen.«
»In ihre Augen?« Es war kein Ärger mehr in ihrer Stimme, aber sie klang immer noch zurückhaltend. Eisenholz nickte und senkte den Kopf. »Es ist schwer zu erklären, aber… in ihren Augen lebt der Schöpfer, und er hat mich aus ihren Augen immer angesehen.«
Nachtsonne schaute mißfällig auf die schwelende Prärie. Rauchwölkchen kämpften gegen den Regen. Eisenholz nahm noch einen Schluck Wasser, um den letzten Streifen Fleisch herunterzuspülen. Nachtsonne blieb stumm, vielleicht über die Empfindsamkeit des Kriegshäuptlings verwundert. Er fühlte sich unbehaglich und saß steif da. Er kannte sie kaum. Vielleicht hätte er so eine … Weichherzigkeit nicht zeigen sollen.
Sie verschränkte ihre langen Beine unter sich und wandte sich ihm zu. Eisenholz schaute sofort auf. Sie sah ihn verzeihungheischend an.
»Verzeih mir«, sagte sie. »Nach den letzten drei Tagen mußt du mich für grausam gehalten haben, aber ich -«
»Keineswegs. Ich glaube, du ärgerst dich, daß dein Mann mich angewiesen hat, dir nachzuschnüffeln.« Er machte eine verlegene Handbewegung. »An deiner Stelle ginge es mir genauso.«
Sie schöpfte eine Handvoll Sand vom Boden und ließ ihn durch ihre Finger rinnen. Eine Bö fuhr in ihr Obdach und lockerte eine Strähne schwarzen Haares aus ihrem Zopf, die ihr über die großen Augen wehte.
Eisenholz zeichnete mit
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