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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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hinunterspülte. Sie beruhigte sich etwas, stützte sich mit einer Hand am Hang ab und ging vorsichtig weiter. Eine riesige schwarze Wolke zog über sie hinweg, und gerade als Wolkenspiel hinaufschaute, tobte der Donnervogel durch die Wolkenleute und benutzte seine scharfen Krallen, um ihnen die Bäuche aufzureißen. Ein Wolkenbruch kam hernieder, der Regen glänzte weißlich im Mondschein. Wolkenspiel suchte Schutz unter dem Überhang. Der untere Teil ihres Gewandes war schnell durchnäßt; er klebte an ihren Beinen wie eine zweite Haut, aber alles darüber blieb trocken. An diesem Morgen hatte sie einen Händler getroffen, der zu den Dörfern der Grünen Mesa unterwegs war, und er hatte ihr von den Gerüchten erzählt: Die Gesegnete Nachtsonne sei wegen Ehebruchs angeklagt und in Krallenstadt eingesperrt worden. Wolkenspiel hatte ihn stumm angestarrt, viel zu erschüttert, um ihm zu glauben. Aber als er gegangen war, hatte sie versucht, so schnell wie möglich nach Hause zu laufen.
    Als kleines Mädchen hatte sie dem Klatsch alter Frauen zugehört, die nichts zu verlieren hatten, Klatsch über ein neugeborenes Kind, das man in ein Versteck gebracht hatte. Diese alten Weiber hatten geglaubt, daß das Kind eines Tages mit einer Armee nach Krallenstadt zurückkehren würde, um sich für seine Preisgabe zu rächen. Wolkenspiel hatte nie viel davon gehalten … bis zum heutigen Tag. Der Schauer dauerte nur dreißig Herzschläge lang. Als die Wolke vorüberzog, schien der Mond herab und warf einen langen Schatten über die Senke - von jemandem, der direkt über ihr stand. Wolkenspiel erstarrte.
    Sie war unfähig zu atmen. Alles drängte in ihr zur sofortigen Flucht, aber die Vernunft befahl ihr, still stehenzubleiben. Er konnte sie von seinem Standort aus unmöglich sehen. Der Sklavenpfad vor ihr war nicht einmal zwanzig Körperlängen entfernt in den Hang eingeschnitten. Wenn sie sich nicht rührte, kein Zeichen gab…
    »Ich sehe dich«, flüsterte er, und sein hoher Schatten senkte sich und schwankte wie ein tanzender Geist. »Was machst du hier? Warum bist du nicht fortgerannt?«
    »Ich bin Wolkenspiel! Tochter von Krähenbart und Nachtsonne! Ich will nach Hause -« »In Schönheit wird es begonnen«, sang er mit tiefer Stimme, die aber unheimlich klang. »In Schönheit wird es begonnen.«
    Ein milchiger Regen fiel vor ihren Augen nieder, und sie sah, daß es heiliges Maismehl war. Noch dreimal rieselte eine Handvoll schimmernd herab.
    »Was tust du da?« verlangte sie zu wissen. »Das ist ein Frevel.«
    »In Schönheit wird es enden«, sang er. »In Schönheit wird es enden.«
    Blankes Entsetzen durchfuhr ihre Seele; sie stürmte aus der Deckung wie ein gejagtes Tiere, über Steine stolpernd, und raste blindlings zum Einschnitt im Hang. Regenwasser rann dort hinunter und verwandelte ihn in eine silberne Bahn. Aber als sie da ankam, breiteten sich schwarze Arme über ihr aus.
    Er sprang vom Sklavenpfad hinunter, nach beiden Seiten schwankend. Mit leuchtender Maske stand er zehn Hände vor ihr. Mit gequälter Stimme wiederholte er: »Ich habe gebetet, du würdest nicht hier sein. Warum bist du hier?«
    Sie schüttelte ihre Fäuste. »Ich will nur nach Hause.«
    »Ich - ich habe Angst.«
    »Warum? Ich gehe nur nach Hause, ich will dir nicht weh tun.« Erkannte sie die Stimme? Aber die war so schmerzverzerrt, daß sie nicht sicher sein konnte. Sie blickte auf den Einschnitt, den Pfad, der aus der Senke hinausführte. »Laß mich gehen! Bitte! Es ist wichtig, daß ich nach Krallenstadt komme. Ich muß unbedingt nach meiner Mutter sehen.«
    Neugierig legte er den Kopf schräg. »Bist du das Sonnenwend-Mädchen?«
    »Das S-Sonnenwend-Mädchen?« fragte sie verwirrt. »Wovon sprichst du? Erst in drei Monden werden wir ein neues Sonnenwend-Mädchen wählen.«
    Er griff über die Schulter und zog einen Bogen und einen Pfeil hervor, den er gelassen einlegte. »Warte… Ich - ich mache alles, was du willst. Was willst du von mir?« Vorsichtig wich sie vor ihm zurück.
    Er winkte mit dem Bogen zum Pfad. »Du… du gehst zuerst. Ich warte, bis du oben bist, dann komme ich nach. Geh jetzt!«
    Sie floh vor ihm und kämpfte sich mühsam den Hang hinauf.
    Hinter ihr rief er: »O nein! Nein!«
    Als sie oben war, rannte sie über die aufgeweichte Fläche, vor Entsetzen sinnlos schnatternd; ihr nasses Kleid schlug ihr um die Beine, als sie auf den fackelerhellten Glanz von Krallenstadt zueilte. Sie war noch keine zwanzig Schritte

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