Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
brachte den Duft nassen Zedernholzes mit.
Eisenholz drehte sich um. »Hast du das ernst gemeint, was du vorhin gesagt hast? Über Schlangenhaupt und unsere Feinde?«
»Ich meine alles ernst, was ich sage.« Düne zog Krähenbarts Decke höher und steckte die Ecken um seinen Hals fest. »Hast du das geträumt? Woher weißt du, daß er -« »Der Junge ist heimtückisch, und um das zu wissen, brauche ich keine Visionen, Eisenholz. Ich brauche mir nur das größte anzunehmende Unheil vorzustellen und kann sicher sein, daß Schlangenhaupt auch schon daran gedacht hat.«
Eisenholz sah schwermütig auf den toten Häuptling. »Ist Krähenbart wirklich tot? Oder wieder auf einem Seelenausflug ins Jenseits?«
Düne stützte sich am Boden auf und sah Eisenholz in die Augen. Das weiße Haar flammte orangefarben um seinen Kopf. Seine tiefen Falten rückten wieder an die alten Plätze. »So tot wie ein seelenloser Felsblock.«
Eisenholz atmete hörbar aus. »Glaubst du wirklich, du könntest Krähenbarts Seele gegen den Willen seines Sohnes befreien? Schlangenhaupt ist schließlich der neue Häuptling, und er hat Krieger, um seinen Willen -«
Düne zog sein Bündel an sich und suchte darin herum. Er holte einen großen Feuersteinklotz heraus. Mit einem Grunzlaut hob er ihn hoch und schmetterte ihn in Krähenbarts Gesicht.
Beim dem Geräusch brechender Knochen fuhr Eisenholz auf. Düne hob den Knollen abermals und schlug zum zweiten Mal zu. Knochen brachen und rieben gegeneinander. Er ließ den Stein in dem breiigen Loch liegen, wo einmal Krähenbarts Nase gewesen war. »So«, sagte Düne, als er seine Hände an der Decke abwischte. »Das müßte genügen.«
Eisenholz betrachtete den Feuerstein in dem eingeschlagenen Gesicht. »Ja.« Er nickte. »Das glaube ich auch. So oder so.«
Düne erhob sich auf schwachen Knien und humpelte durch den Raum; durch die Löcher in seinem braunen Kittel sah man welke Haut. »Morgen werde ich einen Boten zu Sängerling schicken müssen. Da du es nicht geschafft hast, mir zu sagen, daß ich mich um den toten Krähenbart kümmern muß, habe ich all meine Kräuter und Geräte für die Bestattung zu Hause gelassen. Die muß mir jemand bringen.« Er setzte seinen Wanderstab hart auf den Boden. »Kannst du mir einen Läufer besorgen?« »Wenn du willst, bei Tagesanbruch.«
»Ich will es allerdings, Eisenholz.«
»Nordlicht wird uns sicher erlauben, seinen Sklaven Schwalbenschwanz zu schicken. Das ist ein verläßlicher Junge.«
»Gut.«
Düne legte Eisenholz eine alte Hand auf den Arm, drückte ihn schwach und begab sich geduckt hinaus in den Regendunst.
Angst zerrte an Eisenholz' Nerven. Irgendwo in der Nähe wandelte Krähenbarts Geist. Eisenholz verließ den Raum und wandte sich nach rechts. Westwärts lief er über die Dachfläche. Wo eine kleine Mulde war, glänzte eine Pfütze. Zu seiner Rechten erhob sich der Abhang wie eine schwarze Wand, und darüber zogen Gewitterwolken dahin und verdeckten die meisten Sterne. Ein neuer taubengrauer Regenschleier senkte sich über den Canyon. Das kleine Feuer auf der Plaza flackerte und zischte. Die Sklaven drängten sich enger aneinander und schützten das Feuer mit ausgebreiteten Decken.
Eisenholz kletterte die Leiter zum fünften Stockwerk hoch und saß mit untergeschlagenen Beinen im Regen. Er beobachtete die Feuer, die in den Tälern brannten. Es waren Hunderte. Der Canyon des Rechten Wegs hatte weder genug Ackerland noch Wasser für die Massen, die hergewandert waren, um den heiligen Ersten Menschen nahe zu sein. Aber sie kamen dennoch. Er blickte auf das silbrige Gewässer, das durch die Senke rann. Wenn der Wind in die richtige Richtung blies, hörte er Flötenmusik - schwach und melodiös; vielleicht kam sie aus Kesselstadt.
Eisenholz hielt seinen Umhang am Hals zusammen und blinzelte gegen die Regentropfen an. Er wollte am liebsten hier sitzenbleiben, bis die Kälte seine Knochen brach. Vielleicht, wenn er sein Fleisch erst so eisig kalt empfand wie seine Seele, könnte er wieder vernünftig denken. Er war herumgestolpert wie ein Narr, ohne zu wissen, was er tun sollte und auf welche Weise. Er fühlte sich völlig verloren. Tief sog er die feuchte Nachtluft ein, und seine Gedanken kehrten zu Nachtsonne zurück… zu den Erinnerungen an die erste Zeit, als sie ganze Tage für sich allein hatten.
Bevor Krähenbart zu seiner Geschäftsreise zu den Hohokam aufgebrochen war, hatte er Eisenholz genaue Anweisungen gegeben: »Sie darf
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