Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Herz, wie er hatte. Und deswegen, glaube ich, hat er dich auch so schäbig behandelt. Er wollte Rehkitz tatsächlich heiraten und an deine Stelle setzen.« Nachtsonne zerknüllte den Stoff ihres Kleides. Sie schloß die Augen.
Eichelhäher forderte Düne mit einer Kinnbewegung auf: »Sprich weiter.«
»Als Krähenbart entdeckte, daß Rehkitz ein Kind von ihm trug, wurde er fast verrückt. Denn obwohl er Rehkitz liebte, verstehst du, fürchtete er doch die Prophezeiungen deines Volks.« »Über das Kind, das geboren und dann versteckt wird?« fragte Eichelhäher. »Das Kind, das eines Tages zurückkehren würde, um das Volk des Rechten Wegs zu vernichten?«
Düne gestikulierte mit seinen gefesselten Händen. »Gleich nachdem ihm Rehkitz von dem Baby erzählt hatte, rief Krähenbart Nordlicht und mich in sein Zimmer« - Nordlicht nickte - »und fragte uns, was er tun sollte.«
»Habt ihr ihm geraten?«
»Wir haben's versucht.« Düne rutschte herum und streckte die gefesselten Beine aus. »Er war die Gesegnete Sonne. Er wollte nicht auf uns hören. In einem Anfall von Wut und Verzweiflung entschied er, daß sowohl Mutter wie Kind sterben müßten.«
»Was? Er hat befohlen, sie beide zu töten?« Eichelhäher verzog den Mund vor Abscheu. Das ist nicht zu glauben! Was ist nur los mit diesen Leuten vom Rechten Weg? Hätte er einer Sklavin beigelegen, dann hätte er das Kind bereitwillig in seinen Haushalt aufgenommen. »Warum?«
»Krähenbart hatte Angst, daß Rehkitz, wenn sie lebt, eines Tages die Geschichte ausplaudert und Nachtsonne am Ende doch davon erfährt.«
Eichelhäher wandte sich zu ihr. »Und was hättest du getan?«
Die Pappeln hinter Nachtsonne schwankten in einem Windstoß, knarrten und ächzten, und Schatten tanzten über ihr angespanntes Gesicht. Was für eine ansehnliche, elegante Frau! Selbst dieser Gewaltmarsch über mehrere Tage hatte ihrer Schönheit nichts anhaben können.
Sie sagte: »Ich habe meiner eigenen Tochter Wolkentanz eine Heirat mit Spannerraupe verweigert, weil er zur Hälfte Mogollon ist. Dein Volk hat seine Mutter als Sklavin mitgenommen, als sie sehr jung war. Ich hätte solch eine Geburt nie erlaubt. Meine Pflicht in diesem Fall wäre ganz klar gewesen. Ich hätte mich von Krähenbart scheiden lassen und wahrscheinlich den Tod von Rehkitz und ihrem Kind angeordnet. Denn ich fürchte die Legenden auch.«
Düne fuhr fort: »Nordlicht und ich fürchteten das. Wir haben zwei Tage gebraucht, um Krähenbart zu überreden, daß er Rehkitz und das Kind am Leben läßt, mit dem Versprechen, daß sie beide nach der Geburt sofort weggeschickt würden.«
»Warum solltet ihr euch wünschen, daß eure Feinde am Leben bleiben?«
Düne zog beide Brauen in die Höhe. Er trat den Sand mit den gebundenen Füßen hoch. »Weil ich an eure Prophezeiungen nicht glaube. Das Baby im Bauch von Rehkitz war kaum einen Mond alt, da spürte ich schon, daß es ein außergewöhnliches Kind war. Ich machte Krähenbart den Vorschlag, er solle bis nach der Geburt verreisen, damit die Gerüchte allmählich verstummten. Wenn er heimkäme, versprachen wir ihm, wären Rehkitz samt Baby verschwunden; er würde sie nie mehr sehen.« Nordlicht erbleichte. »Doch auf dem Sterbebett hat Krähenbart befohlen, das Kind müsse sterben. Es war sein letzter Befehl.«
Eichelhäher nickte. Das war für ihn nichts Neues. Krähenbart war ein unbarmherziger Gegner gewesen und noch stolz darauf, daß er ohne Gewissensbisse morden konnte. Eichelhäher hatte ihn deswegen verachtet. »Was hat er gesagt?«
»Er nannte den Jungen ›Eichelhähers Brut‹. Ich glaube, zum Schluß fürchtete Krähenbart eure Prophezeiungen mehr, als wir je gedacht hatten.«
Eichelhäher stellte sich breitbeinig hin. »Und?«
Lebt der Junge noch, oder haben sie Krähenbarts Befehl ausgeführt?
Düne und Nordlicht sahen sich an. Eichelhäher bemerkte, daß Eisenholz vorgebeugt dasaß und gespannt zuhörte.
Düne stieß müde den Atem aus. »Der Junge lebt. Nach der Geburt gab mir Nordlicht den Säugling. Ich bat einen Händler namens Der-Im-Himmel-Sitzt, ihn einem alten Freund von mir zu bringen, Schwarzer -«
»Mich?« fragte Sängerling flüsternd. Seine braunen Augen waren weit aufgerissen. Er fuhr sich mit der Zunge über die rissigen Lippen. »Sprichst du von mir?«
Düne nickte gelassen. »Ich hatte vor, dir das zu sagen. Irgendwann.«
Trauertaube fuhr sich mit der Hand an die Kehle, wie um dort einen Schmerz zu lindern, und sagte:
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