Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
der im Ton mit dem Hintergrund des welligen roten und hellbraunen Hügellands übereinstimmte; doch über den Dächern sah sie die Yucca-Pflanzen aus den Salbeibüschen herausragen und hörte die faustgroßen Schoten im Wind aneinanderklappern. Der Duft brennenden Zedernholzes umhüllte sie.
Maisfasers Familie wohnte nicht im Hauptkomplex, sondern in einem kleinen Haus am Hang dahinter. Maisfasers Vater, Palmlilie, war der Kriegshäuptling von Lanzenblattdorf. Aus diesem Grund stand ihr Haus höher als die anderen Häuser des Dorfs; von dort aus waren die Maisfelder und die Zugänge zum Dorf besser zu übersehen, und so konnte Palmlilie die Annäherung der Turmbauer oder wilder Völker gut erkennen.
In diesem Augenblick kam Maisfasers Mutter Distel auf die Plaza und bemerkte den Raben. Distel hatte ein weiß-gelb gestreiftes Kleid an und trug ein Gefäß auf dem Kopf. Sie kreuzte die Arme mißmutig, als sie den Raben neben Maisfaser herlaufen sah.
Maisfaser trat nach ihm aus.
Der Rabe flatterte auf und landete wieder.
»Heilige Geister!« schrie sie. »Was willst du von mir?«
Sie ging schneller, und der Rabe begann zu rennen, hielt Schritt mit ihr.
Maisfaser kniete sich hin, schüttete die Mehlschale auf die feinere Mahlsteinplatte aus. Sie schob ihren Handstein darüber und mahlte es zu feinem Mehl, das sich jetzt farblich veränderte - von Rot zu Zartrosa. Nach der Bräunung über der Glut roch es köstlich, wie aufgeplatzte Maiskörner. Der Rabe streckte den Schnabel vor und schnüffelte.
Maisfaser schenkte ihm keine Beachtung.
Zikade warf ihr immer wieder einen Blick zu, während sie über die Plaza ging, den Ältesten höflich zulächelte und mit jedem einzelnen sprach. Sie war ebenso alt wie Maisfaser - fünfzehn Sommer alt, fast sechzehn -, doch sie war einen Kopf kleiner und untersetzt, mit einem runden Gesicht und von eckiger Gestalt. Sie trug nie einen Gürtel, und das bedeutete, daß ihre Kleider an ihr hingen wie Erntesäcke. Ihre Eltern waren vor vier Sommern gestorben, und sie wohnte bei ihrer Tante, die darauf bestand, daß ihr Haar nur bis zum Kinn ging, weil es dann leichter zu pflegen wäre. Ein rotes Stirnband hielt ihr die Haare von den sanften braunen Augen fern.
Vor fünfzehn Monden waren sie beide Frauen geworden, aber kein Jüngling hatte um Zikade geworben. Maisfaser selbst hatte nur einen jungen Verehrer gehabt - Steinerne Stirn. Er hatte unaufhörlich davon geplappert, daß er eines Tages der größte Krieger sein würde, Wen der Ameisen-Clan je gekannt hätte. Das Gesprächsthema war auch nach ihrer ersten Versuchsweisen Paarung immer dasselbe geblieben. Aber Steinerne Stirn holte Maisfaser nicht mehr ab, seit sie mit ihm auf die Jagd gegangen war und vier Steppenhühner geschossen hatte und er nur eines. Aber ihr größter Fehler hatte wohl darin bestanden, bei einem gemeinsamen Abendessen beiläufig zu erwähnen, daß sie selbst vorhatte, der größte Krieger zu werden, den der Ameisen-Clan je gekannt hätte.
Zikade beugte sich über die Ehrwürdige Mutter Kleeblatt und machte eine Bemerkung über ihren lose geflochtenen Siebkorb. Kleeblatt tätschelte ihr die volle Wange.
Maisfaser benutzte die Gelegenheit und warf drohend einen Arm gegen den Raben. Doch der zog nur kurz den Kopf ein und nahm sofort seine erwartungsvolle Haltung wieder ein.
»Also gut«, stieß sie resigniert hervor.
Sie nahm eine Handvoll von dem grob gemahlenem Mais von der anderen Platte und warf sie vor ihn hin. Er vertilgte den Mais wie ein Vogel, der kurz vor dem Verhungern ist.
»Willst du jetzt endlich verschwinden, bitte?«
Der Rabe legte den Kopf schief, betrachtete sie mit einem Auge und schwang sich auf in den Himmel. Maisfaser sah zu, wie er über dem Dorf kreiste, den schwarzen Rumpf scharf gegen den tiefblauen Winterhimmel abgehoben, und dann nach Süden davonschwebte in Richtung auf die ferne Kuppe, die ihre eckige Nase in den Himmel streckte.
Maisfaser seufzte erleichtert auf und machte sich wieder daran, den grob zerkleinerten Mais zu feinem Mehl zu mahlen.
Zikade eilte zu Maisfaser; ihr braun-schwarzes Gewand schwirrte ihr um die kurzen Beine. Sie kniete sich hin, nahm eine Handvoll Mais aus dem vollen Topf und legte es auf den groben Mahlstein. Sie nahm den Handstein und flüsterte dabei: »Beim Großen Dachs, Maisfaser! Das ist jetzt schon der vierte Tag, an dem dich der Rabe belästigt. Das ist eine heilige Zahl! Alle tuscheln schon darüber.« »Ich kann nichts dafür«,
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