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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sie würde es Nachtsonne mitteilen, sowie sie den Mut dazu fände.
    Als Rehkitz verschwand, hatte sie das Kind vielleicht acht oder achteinhalb Monde getragen. Selbst wenn Rehkitz nie die Erlaubnis eingeholt hatte, mußte Nachtsonne ihre Schwangerschaft gesehen und stillschweigend geduldet haben. Es sei denn… sie hatte vielleicht während ihrer Fieberzeit sogar ihre Dienerinnen aus ihrer Kammer verbannt? War Nachtsonne am Ende aufgestanden, hatte ihre schwangere Sklavin gesehen und Gerüchte vom Fehltritt des Häuptlings gehört? Hatte sie Rehkitz aus Rache töten lassen?
    Die kleinen Geräusche der Morgendämmerung machten sich jetzt bemerkbar. Das Holz im Feuer krachte und zischte, und der Feuerschein überflutete die weißen Wände mit rubinrotem Licht. Eine Eule, über die Klippen gleitend, rief. Irgendwo in den Kiefernwäldern verabschiedete ein Rudel Wölfe die scheidende Dunkelheit mit klagenden Heullauten, die mit gespenstischer Klarheit durch die Wüstenstille hallten.
    Sie blickte zu ihren Kindern.
    Nein, nicht das Kind von Krähenbart. Diese forschenden Augen, diese Haut in der Farbe winterbrauner Baumwollblätter… der Vater konnte nur einer sein. Kriegshäuptling Eisenholz. Distel erschrak. Auf Zehenspitzen ging sie geräuschlos zu ihrem Werkzeugkorb, um ein Feuersteinmesser mit Griff hervorzuholen, und dann zu den Kindern. Sie ließ sich an der Wand entlang zwischen sie gleiten und legte sich das Messer aufs Knie.
    In Krallenstadt wurden gegebene Befehle mit peinlicher Genauigkeit ausgeführt. Davon hingen oft Menschenleben ab. Vielleicht hatte Nachtsonne das Getändel zwischen Eisenholz und ihrer Sklavin entdeckt und Nordlicht aufgetragen, Rehkitz zu töten. Doch warum hätte der Sonnenseher es auf sich nehmen sollen, das Kind aus dem Leib der jungen Frau herauszuholen und zu retten? War er vielleicht Eisenholz einen Gefallen schuldig?
    Maisfaser rührte sich. Sie griff nach dem Rock ihrer Mutter, und als sie den gelben Saum berührte, seufzte sie zufrieden auf. Distel nahm liebevoll die Hand ihrer Tochter.
    »Schlaf, meine Tochter. Du mußt gesund werden.«
    »Ich hab dich lieb, Mutter«, murmelte Maisfaser schwach und öffnete die Augen.
    Schauer des Staunens liefen Distel über den Rücken. Das Mädchen hatte Augen, die an Donnerwolken denken ließen, Augen voller Macht, Stürme verheißend. Einige Dorfkinder hatten sie schon beschuldigt, sie habe Hexenaugen. Ihre Eltern hatten sie getadelt, daß sie so böse Dinge sagten; aber Distel konnte die Furcht auf den Gesichtern der Erwachsenen sehen, die Hälfte von ihnen glaubte es auch. Und der Rabe, der immer wiederkam, machte das Ganze nur noch schlimmer. Je alter Maisfaser wurde, um so weniger paßte sie zu den anderen. Wie lange noch, bis sie ihrem eigenen Clan zur Fremden wurde?
    Der Windjunge schlug den Türvorhang auf und huschte herein, um zu horchen. Das Feuer zischte und knackte und spie Funkenkränze aus. Distel wartete, bis der Windjunge wieder fortgeeilt war, bevor sie sich gestattete, weiter nachzudenken.
    Eisenholz hatte viele Feinde. Verdächtigte ihn einer, ein Kind zu haben?
    Sie lehnte sich zurück an die Wand. Ihnen blieb nur noch eines übrig: wegzulaufen, die Kinder weit fortzubringen.
    Morgen würde sie Palmlilie mitteilen, daß sie Eisenholz in Verdacht hatte; sie würde versuchen, ihn davon zu überzeugen, daß Nordlicht gelogen hatte, und ihn auf die Gefahren hinweisen, die ihnen drohten.
    Würde er ihr glauben?
    Sie packte das Messer fester.
    Sie mußte ihn unter allen Umständen überzeugen.

    Heftige Windstöße fegten durch Krallenstadt und ließen den Ledervorhang vor Schlangenhaupts Tür flattern. Er lehnte sich an die weiße Wand seines Privatzimmers und zog die braun-gelbe Decke fester um seine Schultern. Hinter dem Vorhang sah er die Abendleute funkeln wie zerschlagene Quarzkristalle, die auf ein schwarzes Nerzfell geworfen werden. Die Nacht trug den Duft von brennendem Beifuß vorbei. In der Mitte des Raums stand eine wärmende Feuerschale, in der es knisterte und glühte, und ein hochroter Schein fiel auf die leuchtend bemalten Wände. Die Kammer maß vier mal fünf Körperlängen. Auf der Nordwand tanzte der Thlatsina-Dachs, der schwarze Körper eingerahmt von Feindskalpen. Schlangenhaupt hatte sie selbst acht Feuerhunden abgezogen, Trophäen von Kämpfen, die er siegreich bestanden hatte. Er sah sie an und lächelte. Sein Volk vollführte einen Skalp-Tanz, um die haarigen Siegessymbole in Wasser und Samenwesen zu

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