Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Das verspreche ich. Ich will nur noch etwas nachdenken.« Er streichelte ihren Rücken. »Wie du willst.«
Er zog sich das lange Hemd über den Kopf und legte es über den Topf am Fuß der Schlafmatten. Die starken Muskeln glänzten an seinem nackten Körper. »Du solltest dir keine Sorgen machen. Noch nicht. Warte ab, bis wir genau wissen, ob Krähenbart -«
»Ich werde es versuchen, lieber Mann. Ich liebe dich. Schlaf jetzt. Ich werde bei dir sein, bevor du es merkst.«
Er streckte sich auf dem Rücken liegend aus. »Das hoffe ich. Ich schlafe nicht gut, wenn du nicht bei mir bist.« Er zog die Baumwolldecke mit den eingewobenen Kaninchenfellstreifen hoch, schob einen Arm unter den Kopf und schloß die Augen.
Distel wandte sich ab. Das Feuer war bis zu einer Glutschicht innerhalb weißer Asche heruntergebrannt, und in dieser hochroten Strahlung schien das Haus zu atmen und zu beben wie ein gestaltloses Geisttier auf seinem nächtlichen Streifzug, dem das armselige Leben der Menschen gleichgültig ist. Sie zog einen Wacholderast vom Holzstapel und legte ihn auf die Glut. Flammen zuckten hoch und stießen blaue Rauchwölkchen nach oben.
Viele Sommer lang hatte kalte Angst sich um ihr Herz gelegt wie eine schlafende Klapperschlange. Heute aber hatte die Schlange ihr Haupt erhoben und sie angesehen, und dieser Blick war eine an sie gerichtete Herausforderung aus der Geisterwelt. Würde sie je der Wahrheit über das Kind ins Auge sehen können?
Die Geschichte Nordlichts hatte sie nie geglaubt. Wie denn auch? Sie hatte als Steinmetz in Krallenstadt gearbeitet und mitgeholfen, den mehrgeschossigen Bau zu errichten. Sie hatte die Gesegnete Sonne täglich gesehen; selbst jetzt, so viele Sommer später, konnte sie sich noch an jeden Gesichtszug erinnern, und das Kind hatte keinerlei Ähnlichkeit mit ihm. Die hochgewölbten Brauen und die breiten Backenknochen hatte sie genausowenig von Krähenbart wie den feinen Knochenbau und die mattgoldene Haut. Außerdem war der Häuptling zur Zeit der Geburt des Kindes wegen Handelsgeschäften für zehn Monde zu den Hohokam gereist gewesen. Das Kind hätte eine Spätgeburt sein können, was sie aber bezweifelte. Sie erinnerte sich ganz deutlich an die Winternacht, da Palmlilie ihr das Kind in die Arme gelegt hatte, und dabei war ihr aufgefallen, daß es aussah, als wäre es eher zu früh auf die Welt gekommen.
Distel umschlang die angezogenen Knie. Es war noch kein Mond vergangen, seit sie Krallenstadt verlassen hatten, als schreckliche Gerüchte die Runde machten. Rehkitz, eine von Nachtsonnes jungen Sklavinnen, war in einem Abfallhügel tot aufgefunden worden, unter dem Schuttberg eines ganzen Winters. Sie hatte zwei Stiche in der Brust, ihr Bauch war aufgeschlitzt und das Kind, das sie trug, aus ihrem Schoß geraubt worden; niemand wußte, warum, niemand wußte, was mit dem Kind geschehen war.
Die Gerüchte sagten auch, daß die Ehrwürdige Mutter der Ersten Menschen Rätselhafterweise keinerlei Nachforschungen wegen der Ermordung ihrer geschätzten Sklavin anstellen ließ. Aber die Läufer hatten schnell hinzugefügt, daß Nachtsonne todkrank und mit Fieber in ihrer Kammer eingeschlossen gewesen sei. Sie hatte getobt wie eine Wahnsinnige, so die Läufer, und sich geweigert, Heiler zu empfangen. Der alte Heimatlose, Düne, der große Seher, hatte gemeint, sie verzehre sich so vor Sehnsucht nach ihrem abwesenden Mann, daß die Lebensgeister sie verlassen hätten. Und wirklich, kaum war Krähenbart zurückgekehrt, hatte Nachtsonne sich schnell erholt. Distel betrachtete das leichte Wehen des Hirschfell-Vorhangs; der Windjunge war unterwegs. Es wäre jetzt gefährlich, etwas laut auszusprechen. In ihrer Seele war noch die Erinnerung daran, daß die Blutung von Rehkitz ausgesetzt hatte. Es war an einem herrlichen Frühlingstag gewesen. Die blühenden Wüstenpflanzen hatten die Luft mit Süßigkeit erfüllt. Die junge Frau war stolz und aufgeregt gewesen. Seit neun Monden hatte sie heimlich einen sehr mächtigen Mann geliebt - es wurde getuschelt, er stünde Kriegshäuptling Eisenholz nahe. Rehkitz behauptete, er sei ein Krieger, aber aus Angst vor Bestrafung wagte sie nicht, seinen Namen zu nennen. Sie hatte nicht die Kühnheit besessen, Nachtsonne um Erlaubnis für diese Verbindung zu bitten, wie es sich für eine Sklavin gehört hätte. Besitzer wollten natürlich bei der Gattenwahl ein Wort mitreden, da sie sich stärkere und bessere Sklaven erhofften. Rehkitz hatte gelobt,
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