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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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gebeten hat, Ältester. Ich … ich habe ihn angefleht, mit mir Fortzugehen. Aber er wollte nicht. Er ist zu anständig.«
    Die Qual in ihrem Gesicht rührte etwas in ihm an, das er schon lange tot und begraben wähnte.
    »Antworte! Warum willst du Wilder Fuchs unbedingt retten?«
    Sonnenmuschel streckte flehend die Arme aus. »Weil er unschuldig ist!«
    »Du vermutest also, dass er es nicht getan hat.«
    Ihre ausgestreckten Hände ballten sich zu Fäusten. »Nein, Ältester! Es gibt Dinge, die ein Mensch tief im Herzen weiß. Und ich weiß, dass er es nicht getan hat.« Sie blickte ärgerlich über das Feuer hinweg auf Jaguar. »Er hat Rote Schlinge nicht getötet, Ältester. Ich weiß, dass er unschuldig ist!« Sie zog die Brauen zusammen. »Was hier geschieht, ist Unrecht… und ich kann allein nichts dagegen tun.«
    Jaguar sah sie nachdenklich an. Sie hatte jetzt keine Angst mehr, und er dachte einen Augenblick lang darüber nach. Sie war zu ihm gekommen - nicht aus Ruhmsucht, nicht aus Eigensucht und auch nicht, um sich einen Vorteil zu verschaffen, sondern um einem Freund das Leben zu retten.
    »Sag mir, Sonnenmuschel, was geschieht mit dir, wenn Wilder Fuchs schuldig gesprochen wird?«
    Sie blickte ihn verwirrt an. »Ich werde sehr traurig sein, Ältester. Weil es nicht Recht ist. Wilder Fuchs hat Rote Schlinge mehr als alles in der Welt geliebt. Wenn sie ihn fangen und töten …« Sie presste die Hände gegen die Schläfen, als wollte sie ihre Gedanken zerquetschen. »Wenn sie es tun, dann werde ich es mit seinen Augen sehen, werde es mit ihm erleiden. Und mich fragen, wie und warum ein Mann eine Frau von ganzem Herzen lieben kann - und dann für den Mord an ihr schuldig gesprochen wird.
    Wie wäre dir zumute, Ältester, wenn dir so etwas zustieße?«
    Der Schmerz durchstach sein Herz wie ein Hirschhorndolch. Ihm wurde übel. Das Leid, das er so viele Jahre in seinem Innern eingesperrt hatte - jetzt glitt es aus dem dunklen Verließ seiner Seele an die Oberfläche. Ja, du weißt, wie einem dann zumute ist, nicht wahr?
    »Ältester?« Sonnenmuschel beugte sich besorgt vor.
    Jaguar hob eine Hand. Er hoffte, dass sie nicht zitterte. »Alles in Ordnung, Mädchen. Nur so ein Stich, weiter nichts.«
    Zum ersten Mal in vielen Blätterblüten war seine Seele angerührt worden. »Bist du ein menschliches Wesen, Mädchen? Oder ein ruchloser Geist, gesandt, um mich zu quälen?«
    »Was?«, fragte sie bestürzt. »Ein menschliches Wesen? Ältester, ich verstehe dich nicht.«
    »Hat nichts zu sagen. Nichts.«
    »Ältester, ist es denn falsch, etwas zu tun, weil es das Richtige ist?«
    Jaguar hob seine Schale und trank den Sud bis auf die dünne Sandschicht am Boden, die er mit den Fingern fortwischte. »Das Richtige? Wenn ich die Lage richtig beurteile, werden doch - falls dein Wilder Fuchs freigesprochen wird - Kupferdonner, Wasserschlange und all die anderen einen Krieg beginnen. Was ist nun richtiger: einen Mann zu opfern, um andere zu retten? Oder einen Mann zu retten und zahllose Unschuldige zu opfern? Du warst es doch, die solche Angst hatte, dass ein Krieg ausbrechen könnte. Also sag mir: Was ist das Richtige?«
    Sonnenmuschel starrte ihn an. Schließlich murmelte sie: »Ich weiß es nicht, Ältester. Weißt du es denn nicht?«
    Wie viele Jahre hatte er selbst um eine Antwort auf diese Frage gerungen? Die Finsternis, die er so gut kannte, wühlte ihn auf. Woher sollte ein Mensch wissen, was richtig war, wenn es selbst die Götter nicht wussten? Unwillkürlich fiel sein misstrauischer Blick auf die Schreine neben seinem Haus.
    Sonnenmuschel folgte dem Blick. »Wer sind sie, Ältester?«
    »Komm mit, ich zeige es dir. Dann findest du vielleicht selbst eine Antwort.« Er erhob sich mit steifen Beinen und ging um das Feuer herum zum östlichen Schrein. Sonnenmuschel folgte ihm wachsam und holte tief Luft, als Jaguar die vom Wetter gegerbte, rissige Hirschlederklappe in die Höhe hielt.
    Das Feuer warf einen zitternden rötlichen Schein ins Innere. Dort stand eine mannshohe bleiche Statue auf einem niedrigen Holzgestell. Hölzerne Opferschalen standen davor - sie waren leer.
    Die Figur war aus Holz, Ton und zusammengenähten Fellen gefertigt und mit weißem Lehm bemalt.
    Ein dickes schwarzes Band schlang sich um den Brustkasten; er war mit weißen Flecken übersät. Wellenförmige Streifen liefen über die Arme, die auf den Knien ruhten. Die Beine waren blau und mit Zickzacklinien bemalt. Ein Stück Bärenfell

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