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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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aus. Als er etwas zu dem Jungen sagte, das Zaunkönig nicht hören konnte, fing das Falschgesicht-Kind an zu lachen, ein schrilles, hohes, schauerliches Lachen, das Zaunkönig eine Gänsehaut über den Körper jagte.
    So hatte er im Langhaus nicht gelacht - den Geistern sei Dank.
    Bis zu diesem Augenblick war ihr nie bewusst geworden, was für ein tapferer Mann ihr Onkel war. Als er sich von der Seite des Jungen erhob, schien nicht einmal sein kleiner Finger zu zittern. Er holte tief Luft und stieß seinen Atem als weiße Dampfwolke aus, dann wandte er sich ab und trat zusammen mit Eichel den Rückweg an.
    Zaunkönig wartete, bis die beiden Männer zwischen den Bäumen verschwunden waren, dann setzte sich auf und spähte zu Polterer hinüber.
    Windmutter wehte ihm das schwarze Haar ins Gesicht und zerrte an den Ecken des Umhangs, der ihn wärmen sollte. Er starrte mit weit aufgerissen Augen zu Sonnenjunge empor. Die rechte Hälfte der Eiche war durch einen Blitzeinschlag verkohlt und im Frühjahr, wenn auf der anderen Seite das junge Grün spross, nahmen sich die schwarzen, kahlen Äste besonders gespenstisch aus. Zaunkönig fragte sich, ob das Falschgesicht-Kind wohl den schrecklichen Geisterjungen mit den Sonnenaugen sehen konnte, der in diesem Baum wohnte. Die Älteren des Wandererklans behaupteten, dass nur Menschen mit großer Macht direkt in die blendenden Augen des Heiligen Jungen blicken könnten. Zaunkönig musste ihren ganzen Mut zusammennehmen. Gauners Grab lag keine zwanzig Hand von den gefesselten Beinen des Falschgesicht-Kindes entfernt.
    Ich komme, Gauner.
    Sie spähte noch einmal den Weg entlang und als sie sicher sein konnte, dass niemand sie sah, rannte sie über die verschneite Lichtung. Die Augen des Falschgesicht-Kindes strahlten, als es sie kommen sah.
    Sie ging geradewegs auf Gauners Grab zu.
    »Ich bin es, Gauner«, wisperte sie. Es hatte zu schneien begonnen, und der frisch gefallene Schnee füllte die Vertiefung über dem eingesunkenen Grab wieder auf.
    Das Falschgesicht-Kind drehte den Kopf, um sie zu beobachten.
    Zaunkönig kniete sich neben das Grab. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Gauner. Hast du es auch warm? Heute ist es so eisig kalt hier draußen.«
    Sie wischte mit der Hand den Schnee von Gauners Grab und seufzte tief. Der Kummer, der in ihrer Seelen lebte, flammte wieder auf. Nach dem Tod ihrer Eltern und ihres Bruders war Gauner ihr einziger Freund gewesen. Nachts hatte der treue Hund neben ihr geschlafen, hatte sie gewärmt und ihr die Tränen abgeleckt, wenn sie weinte. Gauner hatte ihr den Verlust ihrer Familie erträglicher gemacht.
    »Ist es ein Hund?«, flüsterte das Falschgesicht-Kind. »Ein toter Hund?«
    Zaunkönigs Kehle schnürte sich zusammen. »Er war mein bester Freund.«
    »Ich hatte auch einmal einen Hund«, fuhr der Junge leise fort. »Er ist auch gestorben.« Das Mädchen musste hart schlucken, als sie die flache Kuhle betrachtete. Sie wusste genau, in welcher Position Gauner in seinem Grab lag. In ihrer Vorstellung verfolgte sie die Linie von seiner Nasenspitze, den Rücken entlang bis zum Schwanzende. Er hatte zwei schwarze Flecken auf der Stirn gehabt, die aussahen wie ein zweites Augenpaar. Ihr Volk glaubte, dass solche Hunde eine besondere Macht besaßen. Gauner zum Beispiel war ein großartiger Jäger gewesen. Er nahm immer als erster vor allen anderen Dorfhunden die Witterung eines Wildes auf und konnte einen Bären oder einen Puma den ganzen Tag lang jagen.
    »Es tut mir Leid, Gauner«, sagte sie. »Ich liebe dich immer noch.«
    »Warum tut es dir Leid?« wollte Falschgesicht wissen. »Hast du ihn totgeschlagen?« Zaunkönig antwortete nicht. Sie dürfte überhaupt nicht hier sein und schon gar nicht mit dem Jungen reden, nachdem Anführerin Siebenstern dies streng verboten hatte. Doch abgesehen von dem Verbot schmerzte es sie furchtbar, über Gauners Tod zu sprechen.
    Es war alles so schnell gegangen. Gauner hatte den ganzen Tag mit den anderen Dorfhunden im Schnee herumgetollt, wie sie es immer taten, doch an jenem Nachmittag waren seine Nase und seine Ohren plötzlich glühend heiß geworden. Die ganze lange Nacht über hatte er in Zaunkönigs Schoß gelegen, mit wässrigen Augen zu ihr emporgestarrt und hin und wieder mit dem Schwanz gewedelt, wenn er ihre besorgte Stimme hörte.
    Zaunkönig hatte verzweifelt versucht wach zu bleiben und aufzupassen, dass der Sonnenjunge sich nicht heranschlich, um Gauners taumelnde Seele zu stehlen. Doch

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