Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
dann, mitten in der Nacht, hatte Gauner sie aufgeweckt, indem er dreimal laut bellte - sein Signal an Zaunkönig, dass er einen Eindringling witterte. Zaunkönig war herumgefahren und hatte durch die Dunkelheit in Richtung des flatternden Türvorhangs gespäht. Und als sie sich wieder zu Gauner umgedreht hatte, war es zu spät gewesen. Der Sonnenjunge hatte sich schon in Gauners Körper geschlichen. Er hatte noch einmal zu ihr emporgesehen, nicht mit Liebe, nicht, um ihr ein letztes Lebewohl zuzublinzeln, sondern mit einem traurigen und überraschten Blick, als hätte Zaunkönig ihn im Stich gelassen, weil sie eingeschlafen war und Sonnenjunge dadurch freien Zugang gewährt hatte. Als das Seelenlicht in Gauners Augen verglomm, hatte Zaunkönig ihn mit aller Kraft geschüttelt und versucht, den Sonnenjungen aus seinem Körper zu vertreiben. Dann hatte sie geschrien. Daran erinnerte sie sich noch genau, weil ihre Großmutter ihr sofort eine Ohrfeige gegeben hatte.
    Falschgesicht drehte sich ein wenig seitwärts, um das Grab sehen zu können. »Mein Hund hieß Steinmantel.«
    Zaunkönig presste die Lippen aufeinander. Sie musste sich zumindest an eines von Siebenstern Verboten halten.
    Sie kramte in der Tasche ihres Umhangs und brachte das Geschenk zum Vorschein, das sie Gauner mitgebracht hatte.
    »Schau, Gauner, das habe ich hinter einem Stapel Körbe gefunden.« Sie schwenkte den Stock mit den beiden abgekauten Enden über dem Grab ihres Freundes. »Weißt du noch, wie wir damit gespielt haben? Wie du immer bellend um mich herum gesprungen bist und mir den Stock abjagen wolltest?« Behutsam legte sie den Stock auf die gefrorene Erde, genau über Gauners Schnauze. »Ich hatte nämlich Sorge, dass die Geister in der Welt-über-dem-Himmel nicht wissen, wie gerne du mit Stöckchen gespielt hast.«
    Es schneite immer heftiger. Dicke Flocken segelten tanzend vom Himmel herab, überzogen die umliegenden Hügel mit ihrer weißen Pracht und schmolzen auf Zaunkönigs langen Zöpfen. Wenn es schneite, senkte sich stets eine seltsame Stille über das Land. Dann hockten die Vögel zusammengekauert in den Bäumen und sahen so traurig aus, während sich hoch oben über den Wipfeln die Wolken bauschten.
    Zaunkönig schob die Hände unter ihren Umhang und seufzte. »Ich habe Schwarze Nase ein paar von deinen Dörrfleischstreifen gegeben. Ich hoffe, das stört dich nicht, Gauner. Er war so hungrig. Du weißt ja, wie hart dieser Winter war. Diese Überfälle haben den Leuten Angst eingejagt. Deshalb will keiner einen Bissen seines kargen Mahls mit einem Hundejungen teilen.«
    Diese Überfälle fanden schon seit vielen Wintern statt, hatten lange vor Zaunkönigs Geburt angefangen. Ihre Großmutter hatte ihr erklärt, dass das Schildkröten-Volk - das Volk, aus dem Falschgesicht stammte - es verdiente, ausgerottet zu werden, weil die Leute dumm und schmutzig seien. Zaunkönig begriff nicht, wie sie so etwas sagen konnte. Oder warum es irgendjemand verdienen könnte zu sterben. Nachdenklich spielte sie mit dem Stock. Und Gauner hatte es gewiss nicht verdient zu sterben.
    »Mit meiner Mutter stimmt etwas nicht«, wisperte das Falschgesicht-Kind. »Ich weiß nicht, was los ist. Sie hat versprochen, mich zu holen, aber« - sein Blick streifte wieder durch die Bäume - »sie ist nicht gekommen.«
    Gedankenlos sagte sie: »Wahrscheinlich ist sie tot.«
    Die schwarzen Augen des Jungen weiteten sich erschrocken. »Warum sagst du das? Schweigen die Echos dann?«
    »Echos?« Sie drehte sich um und sah ihn an. »Welche Echos?«
    »Vom Herzschlag meiner Mutter. Ich habe sie immer gehört, auch schon vor meiner Geburt.« »Ein Mensch kann sich nicht an Dinge vor seiner Geburt erinnern. Da hat man doch noch keine menschliche Seele.«
    Deshalb konnte man Neugeborene auch am Hügel der Verlorenen zum Sterben aussetzen, wenn eine Hungersnot über ein Dorf hereinbrach. Manche Seelen mussten der Erde zurückgegeben werden, damit der Klan überleben konnte. Besser ein Neugeborenes, das nur eine Tierseele besaß, als ein Erwachsener mit zwei Seelen. Die zweite Seele, die menschliche Seele, kam erst im Alter von ungefähr vier Wintern zu einem Menschen. Das wusste doch jeder!
    »Aber ich erinnere mich trotzdem«, beharrte das Falschgesicht-Kind trotzig.
    Zaunkönig klopfte zärtlich auf die gefrorene Erde, die Gauner bedeckte. Seine Nähe tröstete sie und nahm ihr die Angst. Nach einer Weile setzte sie hinzu: »Meine Mutter ist auch tot. Genau wie mein Vater

Weitere Kostenlose Bücher