Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
gedrückt. Sie flehte ihn an, dem Falschgesicht-Kind kein Leid anzutun. Sie bot ihm alles an, wenn er nur den Jungen am Leben ließe. Doch Springender Dachs riss ihr den Jungen aus den Armen, warf ihn wie einen Sack Nüsse seinen Kriegern zu und scheuchte sie aus der Hütte.« Maishülse unterbrach sich und lächelte grimmig. »Dann warf er Wilde Rose auf den Boden. Er schändete sie, während außenherum das ganze Dorf lichterloh brannte. Kannst du dir das vorstellen? Springender Dachs versteht es, selbst mich in Erstaunen zu versetzen!« Maishülses Augen weiteten sich, als ob ihn die Geschichte erregte. »Anschließend«, fuhr er mit einer wegwerfenden Handbewegung fort, »erschlug er sie.«
Aschenmond umklammerte ihre Teeschale. »Woher weißt du von ihrem Tod? Wenn die Krieger nicht anwesend waren, um das zu bezeugen …«
»Springender Dachs hat es mir erzählt! Ich schwöre, die Geschichte kam genau so von seinen Lippen.« Er fuhr mit dem Finger den Rand der Teeschale entlang. »Selbstverständlich musste ich ihn dafür bezahlen, dass er mir das erzählte, aber es war die Summe wert.«
Wert. Natürlich. Aschenmonds Herz verkrampfte sich vor Wut. Maishülse war mit seinem Kanu nicht sechs Tage über den See gerudert und einen weiteren Tag durch die Kälte gerannt, nur um ihr von Wilde Roses Tod zu berichten. Vielmehr wollte er mit diesem Bericht ihre Neugier anstacheln, um ihr anschließend den weitaus interessanteren zweiten Teil der Geschichte zu verkaufen. »Und was geschah mit dem Jungen? Was hat Springender Dachs mit Polterer gemacht?« Maishülse grinste wie eine Katze vor dem Mauseloch. »Das werde ich dir erzählen. Wirklich. Deshalb habe ich ja auch den weiten Weg hierher auf mich genommen. Aber zuerst möchte ich dich um einen kleinen Gefallen bitten.«
»Nichts anderes habe ich erwartet.«
Maishülses Lächeln schwand. »Was ich zu berichten habe, sind sehr wertvolle Informationen, ehrenwerte Anführerin. Besonders für dich.«
»Für mich? Weshalb?«
Maishülse machte eine Geste des Rückzugs. »Verzeih mir, aber ich dachte, dass du vielleicht den Jungen retten willst. Ich hörte, dass er dir sehr am Herzen liegt.«
Bilder von Polterers strahlenden Augen flirrten durch ihre Seelen. »Ehrwürdige Geister, du meinst, sie haben vor, ihn zu töten?«
»Ja, genau das meine ich. Ich blieb im Wandererdorf, bis der Urteilsspruch verkündet wurde und bin dann sofort zu dir gelaufen.«
»Warum sollten sie ihn erst rauben und dann …«
Maishülse hob eine Hand, um ihren Redefluss zu unterbrechen. »Es scheint, als habe der Kriegsführer der Buntfelsen, Lahmer Hirsch, Springender Dachs vor seinem Tod noch etwas Erschreckendes mitgeteilt.«
»Was denn?«
»Zuerst…«
»Ja! Ja! Ich weiß. Sag schon, worin besteht dein ›kleiner‹ Gefallen?«
Maishülse betrachtete angelegentlich die Holzmaserung seiner Teeschale. Dann begann er zögerlich: »Darüber zu sprechen fällt mir nicht leicht, aber ich will versuchen, dir die Sache zu erklären. Eine junge Frau in einem der Dörfer im Süden hat mich derart gereizt, dass ich nicht widerstehen konnte. Also bin ich …«
»Unter ihre Decken gekrochen?«
»Ja, aber es war nicht meine Schuld. Das habe ich auch ihrem Ehemann zu erklären versucht, aber der will…«
»Deinen Tod, weil die Goldspechtklans Ehebruch durch Abschlagen des Kopfes sühnen.« »Hm - äh - ja. Ich glaube, ihr Ehemann tötet im Laufe eines Mondes zwei bis drei Männer. Diese Frau ist unersättlich. Und sehr schön obendrein.«
»Wie viele Kriegertrupps suchen nach dir?«
»Drei, glaube ich«, sagte Maishülse und zuckte dann herablassend die Schultern. »Nicht dass ich Angst vor ihnen hätte. Ich bin viel zu schlau, als dass sie mich finden würden, aber dennoch brauchte ich eine winzig kleine …«
»Möchtest du bitte zum Wesentlichen kommen!«
Maishülse stellte seine Trinkschale neben den Teekessel und wischte sich die Hände an seinem räudigen Fellmantel ab. »Die Macht von Silberner Sperling ist weit und breit bekannt. Du magst vielleicht nicht allzu viel von ihm halten, aber seine Reden über die Götter sind berühmt geworden. Wo immer ich hinkomme, höre ich Leute Teile seiner Reden rezitieren. Wirklich, sein Ruf hat sich rascher gemehrt als der irgendeines anderen Heiligen Mannes, den ich kenne. Allein die Nennung seines Namens im Süden des Landes ruft überall ehrfürchtiges Staunen hervor.« Maishülse hob den Blick und schaute Aschenmond an.
»Und du hoffst,
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