Vox
kaufen wollen, und sie sind unsicher, sie wollen sichergehen, daß es auch das Richtige ist, was sie da kaufen, und so entwickelt Harvey die Angewohnheit, den Kopf durch den Vorhang zu stecken und dich – sehr zögernd und höflich – zu fragen, ob du vielleicht herauskommen und dem interessierten Käufer zeigen möchtest, wie der Armreif an einer echten Frau aussieht. Und du findest das ein klein wenig peinlich, doch du nimmst die Schweißbrille ab und fährst dir mit den Händen durch die Haare, und dann gehst du hinaus in den Laden zu dem lächelnden Harvey und dem offenen Schaukasten mit dem Schlüssel daran, und da steht ein nervöser Mann, der ganz schnell etwas für seine Frau oder Geliebte braucht, und du streckst den Arm hin, und Harvey legt den Armreif an, und der Mann bewegt den Mund, klappt sein Scheckbuch auf und – er ist verkauft, ganz leicht. Auf diese Weise verkaufst du etwa zehn, fünfzehn Armreife, und dieser Erfolg macht dich ehrgeizig, und du entwirfst und machst eine Halskette, eine sehr schlichte Halskette, aber mit drei Edelsteinen, die Harvey dir beschafft hat, in der Mitte ein winziger Chrysolith und zu beiden Seiten je ein reizendes glitzerndes Stück eines unpolierten Schrummuliten, was, wie du ja weißt, fossilierte Tropfen Dinosaurierejakulat sind. Nichts könnte geschmackvoller sein – du bist selbst überrascht, wie schön es geworden ist, nichts, was du an der Uni gemacht hast, kommt dieser Halskette gleich. Harvey ist hin und weg – er hat sie über seine Finger gelegt, die ganz trocken und von der Silberpolitur verfärbt sind, und er schüttelt bloß den Kopf, und du bist sehr glücklich, glücklich darüber, dein Metier gefunden zu haben, und glücklich darüber, Arbeit bei so einem guten Menschen wie Harvey gefunden zu haben. Dann wird die Halskette also in den Schaukasten gehängt, nicht an so hervorgehobener Stelle, wie es ihr deiner Meinung nach vielleicht gebührt hätte, und Harvey besteht darauf, sie mit einem sehr hohen Preis auszuzeichnen, zu hoch, als daß sie sich verkaufen wird, denkst du, doch diesmal bleibt Harvey unbeugsam. Ein paar Wochen vergehen, und du verkaufst verschiedene andere kleine Sachen, einen Ring, ein paar Ohrringe, aber die Halskette verkauft sich nicht. Du bist neugierig, du spickst durch den Vorhang und siehst Harvey zu, wie er Kunden zu deinem Kasten führt, und dir fällt auf, daß er es anscheinend vermeidet, sie auf dieses wunderbare Stück aufmerksam zu machen, er lenkt die Kunden davon ab, wenn sie eine Bemerkung dazu machen. Nicht ohne ein gewisses Vergnügen wird dir bewußt, daß Harvey womöglich ein bißchen in dich verliebt ist, obwohl er viel zu zartfühlend ist, um es je zur Sprache zu bringen. Nun wendet er den Blick ab, wenn du den Arm ausstreckst, um einen deiner Armreife für einen Kunden anzulegen. Und allmählich spürst du, daß er die herrliche Schrummulithalskette nicht verkaufen will, weil er Angst hat, daß er dich dann verliert. Und du spürst, daß er damit wohl richtig liegt. Er fängt an, dich zu fragen, ob du glücklich bist, ob du alle Werkzeuge hast, die du brauchst. In früheren Zeiten haben natürlich schon andere Silberschmiedinnen bei Harveys Halbedel im Fenster gesessen, und alle sind sie zu Höherem übergegangen, zu höheren Honoraren, aber keine, vermutest du, hat Harvey mehr beeindruckt als du.»
«Ich bin ziemlich von mir eingenommen, wie?»
«Ja, doch, aber du bist auch unsicher. Und dann eines Morgens, du bist in deinem Glaskabäuschen bei der Arbeit, da schaust du auf, und da steht so ein Typ ganz nah an der Scheibe und späht zu dir herein. Du nickst, du bist so was gewöhnt, und er nickt auch. Er hat einen Anzug an und etwas in der Hand, das aussieht wie eine in Papiertuch eingewickelte Gabel. Er blickt zum Schild über dem Laden hoch, und du hörst ihn eintreten, und du hörst ihn mit Harvey reden. Harvey klingt ein bißchen gereizt. Du hörst ihn sagen: ‹Für so eine unkreative Arbeit kann sie sich keine Zeit nehmen.› Dann sagt der Typ etwas, seine Stimme hat etwas Drängendes. Harvey sagt: ‹Nein, das soll kein Witz sein, wirklich, nein.› Und du steckst den Kopf durch den Vorhang. Die beiden Männer schauen dich an. Harvey hebt an: ‹Ich versuche, dem Herrn hier auseinanderzusetzen, daß du eine Künstlerin bist und so etwas wie seine Gabel reparieren nicht tun kannst. Er will nicht, daß ich sie repariere, er will, daß du es machst.› Dem Typen im Anzug ist das offenbar peinlich, er
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