Voyeur
genau, was Martys Vater vorhat. Vielleicht will er sich
nochmal mit mir treffen oder so.»
«Natürlich. War nur eine Frage. Gut, Sie wissen ja, wo ich bin, wenn Sie etwas brauchen.» Ich war froh, dass sie mich
nicht sehen konnte. Mein Gesicht glühte wie das eines Schuljungen. Nachdem ich aufgelegt hatte, sagte ich mir, dass ich |221| überreagierte. Schließlich hatte sie sich weder bei meiner Frage noch bei ihrer Ablehnung etwas gedacht. Doch meine Verlegenheit
ließ nicht nach.
Um mich abzulenken, dachte ich über Martys Vater nach und ließ meiner selbstgerechten Wut gegen ihn freien Lauf. Sein gesamtes
Verhalten, besonders Anna gegenüber, war erbärmlich. Es gab wirklich keinerlei Veranlassung dafür. Eine Weile stellte ich
mir vor, wie ich Westerman deutlich sage, was ich von ihm halte, während Anna dankbar danebensteht. Nachdem ich eine halbe
Stunde in diesen pubertären Phantasien geschwelgt hatte, fühlte ich mich wesentlich besser. Bis mir wieder einfiel, warum
der Mann überhaupt gekommen war.
Ich fragte mich, wie er die Suche nach Marty beeinflussen könnte. Hoffentlich gar nicht. Trotzdem hätte ich diese Situation
gern vermieden. Dann fragte ich mich, wie Zeppo auf diese Nachricht reagieren würde.
Ich beschloss, ihm vorerst nichts zu sagen.
*
Die Mittagspause am Montag verstrich, ohne dass Anna auftauchte. Mir fiel es schwer, mich auf die alltäglichen Aufgaben
in der Galerie zu konzentrieren. Selbst als ein protziger und enthusiastischer Amerikaner kam und eines meiner teureren Werke
in bar kaufte, empfand ich es nur als Belästigung.
Ich hatte nicht noch einmal mit Anna gesprochen. Obwohl sie gesagt hatte, dass sie nicht ausgehen wollte, war ich am Sonntag
bei ihr vorbeigefahren. Doch sie war nicht zu Hause gewesen. Die Türklingel hatte hohl in der unendlichen Stille |222| geschellt, die typisch für eine leere Wohnung ist. Als ich wieder gegangen war, hatte ich mich genauso leer gefühlt.
Als sie schließlich nach zwei Uhr in die Galerie kam, wich meine Erleichterung, sie zu sehen, sofort der Sorge, was sich
ereignet haben könnte.
«Tut mir leid, dass ich so spät komme. Es hat länger gedauert, als ich dachte.»
«Schon in Ordnung. Hatten Sie denn Glück in der Botschaft?»
Sie zog ihren Mantel aus und hängte ihn auf. Ihre Bewegungen waren so langsam und gemächlich, als wäre sie sehr erschöpft.
Als sie sich wieder zu mir umdrehte, fielen mir die dunklen Ringe unter ihren Augen auf. Ich fragte mich, wie lange sie
schon dort waren. «In gewisser Weise», sagte sie. «Also eigentlich ja.» Sie lächelte entschuldigend. «Tut mir leid, ich
bin heute nicht ganz da.»
«Was ist passiert?»
Sie holte tief Luft und setzte sich hin. «Die Botschaft hat sich endlich bereit erklärt, etwas zu unternehmen. Martys Vater
hat das Gespräch in die Hand genommen. Ich saß nur stumm daneben. Er hat gesagt, dass ihn die Reise hierher eine Menge Geld
und Zeit gekostet hat und dass sie die Sache wenigstens genauso ernst nehmen sollten wie er. Dann meinte er, dass es überhaupt
nicht zu Marty passen würde, einfach so zu verschwinden, und dass er Referenzen von der Universität und einer Menge anderer
Stellen vorlegen könnte, um das zu beweisen. Wie auch immer, am Ende willigten sie jedenfalls ein, uns, wenn nötig, gegenüber
der Polizei zu unterstützen. Also gingen wir als Nächstes dorthin. Martys Vater verlangte, mit dem Detective Inspector statt
mit dem Sergeant zu sprechen, |223| mit dem ich das letzte Mal geredet hatte, und spielte sich ordentlich auf. Es war echt ein bisschen peinlich. Aber es funktionierte
anscheinend, und das ist ja die Hauptsache. Martys Fall hat nun ‹höchste Priorität› bekommen. Das bedeutet, dass es nicht
nur eine Akte über ihn gibt, sondern dass sich die Polizei jetzt aktiv auf die Suche nach ihm macht.»
«Wie soll das aussehen?» Ich hoffte, dass man mir meine Anspannung nicht anmerkte.
«Seine Beschreibung wird an andere Abteilungen und Reviere weitergegeben, seine Schritte sollen nachvollzogen werden. Insgesamt
soll wohl mehr unternommen werden. Ich habe keine Ahnung, was das bringen wird, aber immerhin bemühen sie sich jetzt.»
Sie massierte ihre Augen. «Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Eigentlich sollte ich erleichtert sein, dass sie endlich
etwas unternehmen, aber das bin ich nicht. Es ist bestimmt dumm von mir, aber jetzt, wo die Polizei die Sache ernst nimmt,
wird sie plötzlich
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