Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
Vom Netzwerk:
wie er «Ihre Polizei» sagte, suggerierte, dass eine gemeinsame Nationalität für ihn gemeinsame Verantwortung bedeutete.
     Meine Abneigung gegen den Mann wuchs mit jedem Augenblick.
    «Wie lange wollen Sie bleiben?», fragte ich, um das Thema zu wechseln.
    «Ich muss in zehn Tagen zurück sein. Von mir wird schließlich verlangt, ein Unternehmen zu führen, wie Marty sehr genau
     weiß. Ich habe keine Zeit für solche Ablenkungen. Doch unter diesen Umständen schien ich keine Wahl zu haben.»
    Sein Unmut traf also auch seinen vermissten Sohn. Wenn er sich um ihn Sorgen machen sollte, dann verbarg er es perfekt. Ich
     unternahm einen weiteren Versuch, höflich zu sein. «Verstehe, Sie sind Geschäftsmann. Und in welcher Branche sind Sie tätig,
     wenn ich fragen darf?»
    «Badezimmerzubehör.»
    «Groß- oder Einzelhandel?»
    |230| «Beides.»
    «Na ja, ich hoffe, die amerikanische Wirtschaft ist in einem besseren Zustand als unsere. Wir stecken im Moment in einer
     Rezession.»
    «Das habe ich gehört.»
    «Laufen die Geschäfte ganz gut?»
    «Sie würden noch besser laufen, wenn ich mich vor Ort darum kümmern könnte.»
    Ich unterließ jede weitere Bemühung, ihm etwas zu entlocken, und versuchte stattdessen, wenigstens den Schein einer Gemeinsamkeit
     herzustellen. «Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich bin selbst Geschäftsmann.» Ich lächelte bescheiden. «Na ja. Wenn man das
     als Leiter einer Galerie so sagen kann. Ich bin Kunsthändler.»
    «Ich weiß.»
    Er hatte eindeutig nicht die Absicht, mir bei der Konversation behilflich zu sein. Und mir fiel, abgesehen von Beleidigungen,
     auch nichts mehr ein. Ich riss mich zusammen und unternahm einen letzten Versuch. Hoffentlich mit einem Thema, das er nicht
     schnell abfertigte.
    «Ich finde, Anna meistert das alles ganz bewundernswert. Es muss sehr hart für sie sein.»
    «Es ist für einige Menschen sehr hart. Unter anderem für Martys Mutter und für mich.»
    «Ja, das kann ich mir vorstellen. Wie kommt Ihre Frau damit zurecht?»
    Westerman schaute mich kurz an, ehe sein Blick wieder an die Stelle zurückkehrte, die ihn zu beschäftigen schien. «Den Umständen
     entsprechend. Keiner von uns wollte, dass er überhaupt hierherkommt. Amerikanische Universitäten |231| waren gut genug für seinen Bruder und seine Schwester, warum sie ihm nicht genügten, verstehe ich nicht. Und jetzt muss
     ich kommen und ihm hinterherjagen, weil er Streit mit seiner Freundin hatte.»
    Ich hörte zum ersten Mal, dass Marty Geschwister hatte. Und es war der erste Hinweis darauf, wie sein Vater über sein Verschwinden
     dachte.
    «Glauben Sie, deshalb ist er verschwunden?»
    «Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen. Laut seinen Tutoren lief seine Arbeit an der Universität gut. Er hatte keine
     finanziellen Probleme. In der Vergangenheit war er immer emotional stabil. Warum sollte er sonst weggelaufen sein?»
    Ich fühlte mich zu einem Einspruch verpflichtet. «Das weiß ich nicht, aber Anna sagt, dass sie keinen Streit hatten.»
    Seine Lippen bewegten sich leicht. Es hätte ein Lächeln sein können. «Das behauptet sie.»
    Mir war klar, dass ich gegen meine Interessen argumentierte, aber das konnte ich nicht so stehenlassen. «Ich glaube kaum,
     dass Anna in dieser Sache lügen würde.»
    Er erlaubte sich, mir einen weiteren kurzen Blick zuzuwerfen. «Dann halten Sie es also für einen Zufall, dass er davonläuft,
     kurz bevor er mit einer Engländerin, die er erst seit wenigen Monaten kennt, nach Amerika zurückkehren will? Es fällt mir
     wirklich schwer, das zu glauben.»
    «So wie ich die beiden erlebt habe, schienen sie sehr glücklich miteinander zu sein.»
    «Warum ist er dann verschwunden?»
    Darauf hatte ich natürlich keine Antwort. Eigentlich hätte ich froh sein sollen, dass Westerman diese Erklärung so |232| bereitwillig hinnahm, doch seine unterschwellige Verleumdung Annas machte mich wütend. Wir schwiegen wieder, bis Anna hereinkam
     und verkündete, das Essen sei fertig.
    Es war eine trübsinnige Angelegenheit. Anna gab ihr Bestes, um das Gespräch am Laufen zu halten, und ich versuchte es aus
     Rücksicht auf sie ebenso. Doch Westerman stemmte sich standfest dagegen. Ich fragte mich langsam, warum er überhaupt gekommen
     war. Er aß mechanisch und spärlich, sprach nur, wenn eine direkte Frage an ihn gerichtet wurde, und antwortete selbst dann
     möglichst einsilbig. Schließlich wusste Anna nicht mehr, was sie sagen sollte, und auch ich war mit meinem

Weitere Kostenlose Bücher