Voyeur
sagte Debbie. |215| «Lass dich nicht von ihm fertigmachen. Hey, oder willst du, dass ich bleibe?»
«Nein, ich komme schon klar. Danke.»
«Ich werde den ganzen Nachmittag zu Hause sein, wenn Sie mich brauchen», sagte ich, um nicht ausgebootet zu werden. Anna
nickte, aber ich spürte, dass sie nicht richtig zuhörte.
«Ich gehe lieber zurück. Wir sprechen uns später.»
«Gott, die arme Anna!», sagte Debbie, als wir die Treppe hinuntergingen. «Ich kann gar nicht fassen, wie unverschämt er
war! Was für ein Widerling!»
Dass ich einmal einer Meinung mit ihr sein könnte, hätte ich noch zehn Minuten zuvor nicht für möglich gehalten. Ich bot
sogar an, sie mitzunehmen, und während wir fuhren, merkte ich, dass ich gegen ihre geschwätzige Art nur die Hälfte einzuwenden
hatte, wenn sie gegen jemanden gerichtet war, den ich nicht mochte.
Nachdem ich sie an der nächsten U-Bahn -Station herausgelassen hatte, fuhr ich nach Hause. Ich hatte Anna gesagt, dass ich dort sein würde, aber jetzt, wo mein
Besuch unterbrochen worden war, wusste ich nicht so recht, was ich mit mir anfangen sollte.
Für eine Weile konnte ich mich damit beschäftigen, mir ein Mittagessen zuzubereiten. Das Essen selbst nahm auch etwas Zeit
in Anspruch. Doch danach lag wieder nur der leere Tag vor mir. Das einzige Thema, auf das ich mich konzentrieren konnte,
war Anna. Während ich dasaß und auf ihren Anruf wartete, fragte ich mich, was in meiner Abwesenheit gesagt wurde. Nichts
anderes schien einen Gedanken wert zu sein.
Erst dann fiel mir meine Privatsammlung ein. Überrascht |216| wurde mir klar, dass ich seit Wochen, genauer gesagt seit Zeppos Besuch, nicht mehr in dem Raum gewesen war. Und seitdem
hatte ich nicht einmal daran gedacht. Es erstaunte mich ein bisschen, dass ich meine frühere Leidenschaft so lange vernachlässigt
hatte.
Die Aussicht auf einen Nachmittag in süßer Selbstvergessenheit kam wie gerufen, um mich von Anna abzulenken. Ich zögerte
den Moment absichtlich hinaus und spülte erst einmal das Geschirr vom Mittagessen ab und trank eine Tasse Tee. Dann ging ich
wie zur Belohnung hinauf in die Galerie.
Die Vorfreude war vielleicht zu groß gewesen. Ich schaltete das Licht an, schloss die Tür und wartete darauf, wie sonst
von Zufriedenheit erfüllt zu werden. Als sie sich nicht einstellte, begann ich trotzdem die Bilder zu betrachten und versuchte,
die Stimmung bewusst herzustellen. Es wollte nicht gelingen. Als ich merkte, dass ich an mehreren Werken vorbeiging, ohne
sie richtig anzusehen, zwang ich mich zu einem genaueren Studium. Doch dadurch fielen mir nur die künstlerischen Mängel der
einzelnen Arbeiten auf. Ihre Sinnlichkeit und Schönheit blieben mir verborgen. Fehler, die ich früher übersehen konnte,
ja die sogar einen Teil ihres Reizes ausgemacht hatten, sprangen mir nun eklatant ins Auge.
Verzweifelt widmete ich mich dem Bild, vor dem ich bei meinem letzten Besuch so viel Zeit verbracht hatte: Die Liebenden
und ihr versteckter Beobachter. Der Stuhl, den Zeppo umgekippt hatte, lag noch immer genauso da. Ich stellte ihn wieder
hin, setzte mich und starrte auf der Suche nach meiner damaligen Faszination auf das Trio. Doch nun ärgerte |217| mich, dass die Füße der Frau proportional zu ihrem Körper zu klein waren und dass der Künstler bei der Darstellung der Hände
versagt hatte.
Schließlich gab ich auf. Ich stellte den Stuhl wieder in die Mitte des Raumes, schaltete das Licht aus und schloss die Tür.
Meine Sammlung bereitete mir keine Freude mehr. Anna hatte mir die Lust daran verdorben.
Als ich hinunterging, klingelte das Telefon. Ich lief los und nahm atemlos ab.
«Hallo?»
«Hallo, Donald. Hier ist Anna. Ich wollte mich noch einmal wegen vorhin entschuldigen.»
Meine Unruhe war sofort verflogen. «Das müssen Sie nicht. Sie sind nicht verantwortlich für das Benehmen dieses Mannes. Dann
ist er jetzt weg, nehme ich an?»
«Ja. Er ist nicht lange geblieben.»
«Ist er freundlicher geworden, nachdem wir weg waren?»
«Gemerkt hat man es jedenfalls nicht.» Sie klang sehr niedergeschlagen.
«Ist es schlimm gewesen?»
«Geht so. Aber er hatte ja auch eine lange Reise hinter sich. Er hat sich wahrscheinlich nicht nur Sorgen gemacht, sondern
war auch müde.»
«Das ist keine Entschuldigung. War er sehr unangenehm?»
«Na ja, er hat mich spüren lassen, was er von mir hält. Und das ist nicht besonders viel.»
Wut kam in mir auf. «Dann ist
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