Voyeur
für ein Mensch er ist.»
«Das hoffe ich. Aber ich glaube, ich rufe trotzdem an.» Sie verzog ihr Gesicht. «Wie konnte er das nur tun?»
«Vielleicht ist das seine Art, Marty für seine ‹Unannehmlichkeiten› zu bestrafen.»
«Unannehmlichkeiten», wiederholte sie. «Gott, ich wünschte, das wäre am Ende alles.» Mit einem Mal sprang sie auf. «Okay,
ich räume jetzt lieber auf. Danke für Ihr Kommen, Donald. Tut mir leid, dass es so ein schrecklicher Abend war.»
«Immerhin war das Essen gut.»
Sie lächelte liebenswürdig, reagierte aber nicht auf mein Kompliment. Es war offensichtlich, dass sie allein sein wollte.
Aus Höflichkeit bot ich ihr meine Hilfe beim Abwasch an, war jedoch nicht überrascht, als sie ablehnte. Ich verabschiedete
mich und ging nach Hause.
Trotz Annas Sorgen war der Abend meiner Meinung nach gar nicht so schlecht gewesen. Obwohl ich Westerman aus tiefstem Inneren
verachtete, war ich realistisch genug, um mir darüber im Klaren zu sein, dass seine Vorurteile vielleicht das Beste waren,
was geschehen konnte. Besonders wenn er sich der Polizei gegenüber genauso äußerte. Er wollte zehn Tage bleiben. Vorausgesetzt,
in dieser Zeit kam nichts Ungünstiges ans Tageslicht, konnte ich mir nicht vorstellen, |239| dass die Ermittlung danach noch lange verfolgt werden würde. Vorsichtig erlaubte ich mir erneut den Luxus des Optimismus.
Deshalb war es umso beunruhigender, als die Polizei ihre erste Spur fand.
[ Navigation ]
|240| Kapitel 17
Nur wenige Tage nach dem Abendessen mit Martys Vater kamen zwei Polizisten in die Galerie. Der eine trug Uniform, der andere
war in Zivil. Sowohl Anna als auch ich hielten sofort in unserem Tun inne.
«Miss Palmer?», fragte der in Zivil. Er war der Größere der beiden, ein kräftiger, militärisch aussehender Mann mit einem
dicken Schnurrbart, der um einiges heller war als sein Haar.
Anna wirkte angespannt. «Ja?»
«Ich bin Detective Inspector Lindsey, das ist Sergeant Stone. Können wir bitte kurz mit Ihnen sprechen?»
Anna war blass geworden. Ich sah bestimmt nicht besser aus. Allerdings hatte ich andere Befürchtungen als sie. «Warum? Worum
geht es?»
«Können wir irgendwo in Ruhe reden?» Der Polizist warf mir einen Blick zu. Mir wurde leicht schwindelig.
«Schon in Ordnung, Sie können hier mit mir sprechen», sagte Anna, die den Blick verstanden hatte. «Es geht um Marty, richtig?»
«Es wäre vielleicht besser, wenn wir Sie allein sprechen könnten.»
|241| «Sie können ins Büro gehen», sagte ich, aber Anna schüttelte den Kopf.
«Nein, mir wäre es lieber, wenn Sie dabei sind.» Ich war zu nervös, um mich geschmeichelt zu fühlen, und mir keinesfalls
sicher, ob ich hören wollte, was sie zu sagen hatten. Anna wandte sich wieder an den Polizisten. Sie blieb unnachgiebig.
«Haben Sie ihn gefunden?» Sie bemühte sich, gefasst zu klingen.
Der Polizist wandte seinen Blick von mir. Von da an hörte ich für ihn auf zu existieren. «Nein, wir haben ihn noch nicht
gefunden. Aber wir haben eine mögliche Spur.» Er hielt inne. Ich konnte den herben Geruch von kaltem Zigarettenrauch in seinem
Atem riechen. «Es ist vielleicht ein bisschen unangenehm für Sie, aber ich muss Sie fragen, ob Ihr Freund homosexuelle Neigungen
hat.»
Jetzt wirkte Anna eher verwirrt als besorgt. «Homosexuelle Neigungen? Nein. Überhaupt nicht. Weshalb?»
Der Polizist ging nicht auf ihre Frage ein. «Haben Sie jemals den Verdacht gehabt, dass er homosexuell sein könnte?»
«Nein, natürlich nicht! Wieso?»
Plötzlich wurde mir alles klar. Das Blut schoss mir ins Gesicht, während ich mich bemühte, mir nichts anmerken zu lassen.
«Wir haben einen Hinweis von jemandem erhalten, der behauptet, Ihren Freund in einem Schwulenclub in Soho gesehen zu haben»,
fuhr der Polizist fort. Ich sagte mir, dass es nicht derselbe Club sein konnte, in dem sich Marty mit Zeppo getroffen hatte.
Bestimmt würde sich dort niemand nach nur einem Besuch an ihn erinnern. Doch der Gedanke beruhigte |242| mich kaum. Als ich merkte, dass der Sergeant mich anschaute, versuchte ich, ihn zu ignorieren.
«Vor kurzem?» Man konnte Annas Stimme anhören, dass sie sich Hoffnungen machte.
«Nein. Noch vor seinem Verschwinden. Das genaue Datum kennen wir nicht. Aber wir haben Grund zu der Annahme, dass er häufiger
dort gewesen ist.»
Annas Anspannung ließ ein wenig nach. Mit einem Mal wirkte sie enttäuscht. «Wie heißt der Club? Pink Flamingo?»
Weitere Kostenlose Bücher