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Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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fiel es mir wesentlich leichter,
     es zu sagen.
    Anna reagierte nicht darauf. Dann lächelte sie mich müde an. «Ich wette, Sie kommen sehr gern hierher, oder? Es wird nie
     langweilig.»
    «Ich scheine auch immer den richtigen Moment abzupassen, nicht wahr?», sagte ich. Da fiel mir mit einem plötzlichen Schwindelgefühl
     wieder der Grund für meinen Besuch ein. Durch die Wut auf Westerman war er mir kurzzeitig entfallen. Meine Anspannung kehrte
     zurück.
    «Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich brauche einen Drink», sagte Anna. «Was würden Sie gern trinken?»
    Das Angebot kam genau zur richtigen Zeit. «Einen Brandy, wenn Sie welchen dahaben. Sonst tut es auch ein Whisky.»
    Ich wartete, während sie die Drinks einschenkte und mir dann ein Glas reichte. Ich räusperte mich. «Ist die Polizei schon
     wegen Martys Notizen hier gewesen?»
    «Nein, noch nicht.» Sie setzte sich und rieb sich die Augen. «Ich weiß auch nicht, was sie zu finden hoffen. Liebesbriefe
     von ihm und einem anderen Mann oder so? Wenn ja, dann werden sie enttäuscht sein. So etwas gibt es darin nicht.»
    Das klang mehr nach einer Vermutung als nach Gewissheit. |262| Ich zwang mich zu warten, bis ich einen Schluck getrunken hatte. «Haben Sie selbst schon reingeschaut?», fragte ich dann.
    «Nur in den Hefter, den er hiergelassen hat, nicht in die in der Uni.»
    «Und darin war nichts?»
    «Nein, aber das hätte mich auch sehr überrascht. Es sind nur Arbeitsnotizen.»
    Ich räusperte mich erneut. «Sind die Notizen hier jüngeren Datums?»
    Sie nickte. «Es sind die Sachen, an denen er gearbeitet hat, bevor er verschwunden ist. Er hat nämlich immer alles mit einem
     Datum versehen, und die letzten Notizen hat er einen Tag vor meiner Rückkehr aus Amsterdam gemacht.»
    Ich versuchte, meine plötzliche Aufregung zu unterdrücken. «Dann gibt es darin also keine Anhaltspunkte?»
    «Nein, nichts. Aber damit hatte ich auch nicht gerechnet. Ich weiß nicht, warum er verschwunden ist, aber es hatte bestimmt
     nichts damit zu tun, dass er Schwulenclubs besucht hat. Das hat er sowieso seit Wochen nicht mehr gemacht. Und wenn er während
     meiner Reise hätte hingehen wollen, hätte er es mir gesagt.» Sie zuckte mit den Achseln. «Aber ich glaube, das interessiert
     die Polizei gar nicht. Die sind froh, dass sie eine einfache und praktische Erklärung haben. Besonders wenn ihnen sein eigener
     Vater erzählt, wie er darüber denkt.»
    Ich sagte irgendetwas Beruhigendes, aber ich kann mich nicht erinnern, was es war. Ich war nicht mehr richtig bei der Sache.
     Mir ging nur noch durch den Kopf, dass Marty tatsächlich genauso harmlos gewesen war, wie er ausgesehen |263| hatte. Sollte es nicht irgendeine Aufzeichnung seines Treffens mit Zeppo in seinen Notizen in der Universität geben, was
     unwahrscheinlich war, hatte er es für sich behalten. Blieb nur die Gefahr, dass sich jemand daran erinnerte, die beiden
     in dem Nachtclub gesehen zu haben. Das war eine Möglichkeit, aber irgendwie kam deswegen keine große Sorge in mir auf. Ich
     hatte das Gefühl, dass das Schlimmste überstanden war, und mit einem Mal fiel die Anspannung von mir ab. Ohne Vorwarnung
     musste ich gähnen.
    «Tut mir leid», sagte ich und hielt mir die Hand vor den Mund. «Entschuldigen Sie.»
    «Sie sind müde.»
    «Ja, ziemlich. Es war ein langer Tag.» Genauer gesagt, einer der längsten, die ich jemals erlebt hatte. Jetzt, wo er zu
     Ende ging, war ich nur noch erschöpft. Als ich wieder gähnen musste, verabschiedete ich mich. Sonst hätte ich es nicht mehr
     bis nach Hause geschafft. Ich überlegte, ob ich Zeppo anrufen sollte, um ihm die gute Nachricht über Martys Vater zu erzählen,
     beschloss dann aber, dass es warten konnte. Es geschah ihm ganz recht, ein bisschen zu schwitzen. Um halb zehn lag ich im
     Bett.
    Ich schlief so gut wie seit Wochen nicht mehr.
     
    *
     
    Westerman reiste wie angekündigt am nächsten Morgen ab. Anna versuchte, ihn im Hotel zu erreichen, vermutlich in der verzweifelten
     Hoffnung, ihn umstimmen zu können, doch er hatte bereits ausgecheckt.
    Dann rief sie bei der Polizei an. Auch in diesem Fall hatte |264| Martys Vater keine Zeit verschwendet und die Beamten von seiner Abreise in Kenntnis gesetzt. Als Anna nachhakte, gaben sie
     zu, dass er auch seine Meinung über die Situation deutlich gemacht hatte. Man versicherte ihr, dass das keine Auswirkung
     auf die Ermittlung haben würde, aber sie war nicht überzeugt

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