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Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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nicht wusste, was sie da redete. Dann wurde mir klar, dass sie wohl auf unseren Unfall anspielte. Sie war in
     Eile gewesen, um ihren Sohn abzuholen. Sie schaute auf mein Glas. «Das ist eine gute Idee. Ich glaube, ich trinke vor dem
     Essen auch erst was.»
    Meine Manieren fielen mir wieder ein. «Natürlich. Was hätten Sie gern?»
    «Was trinken Sie?»
    «Gin Tonic.»
    |294| «Das klingt gut. Ich nehme das Gleiche, bitte.»
    Als ich den Drink bestellte, versuchte ich, mein Unbehagen zu verbergen. Es kam mir ominös vor, dass sie das Gleiche gewählt
     hatte wie ich. «Cheers», sagte sie und erhob ihr Glas. Ich prostete ihr zu und bereute sofort, dass ich nicht den Weitblick
     gehabt hatte, mir auch noch einen Drink zu bestellen. Jetzt würde ich entweder gierig wirken oder an einem fast leeren Glas
     nippen müssen, bis sie ihres ausgetrunken hatte.
    «Ach, das tut gut», sagte sie und setzte ihr Glas ab. «Das habe ich mir wirklich verdient. Heute war einfach ein Fiasko
     nach dem anderen. Ich bin vor allem in die Stadt gekommen, um mir eine Kollektion angeblich originaler Queen-Anne-Stühle
     anzuschauen. Anfang der Woche hat mich eine Frau angerufen und gesagt, dass ihre Tante gestorben ist und ob ich interessiert
     wäre, diese Stühle aus ihrem Nachlass zu kaufen. Ich sagte natürlich zu, denn solche Dinge tauchen nicht jeden Tag auf,
     oder? Ich hätte sie mir lieber gleich Anfang der Woche angeschaut, aber sie sagte, dass sie ihre Tante erst begraben müssen.
     Das ist wahrscheinlich nur anständig, obwohl ich glaube, dem guten Tantchen wäre es auch egal gewesen.»
    Ich lächelte.
    «Wie auch immer, heute Morgen fahre ich dort vorbei, und was glauben Sie? Die verfluchten Dinger waren bloß Nachbildungen!
     Und nicht einmal besonders gute!» Sie breitete ihre Hände aus, als sollte ich an ihrem Erstaunen teilhaben. Ich tat mein
     Bestes.
    «Na ja, ich gab mir alle Mühe, es dieser Frau und ihrem Mann schonend beizubringen, aber sie wurden sofort patzig», |295| fuhr sie fort. «Also sie jedenfalls. Er hat nicht viel gesagt und stand nur wie ein Hampelmann hinter ihr. Es war klar, wer
     in dem Haus die Hosen anhat, wenn Sie verstehen, was ich meine. Also sagte ich: ‹Jetzt aber mal halblang. Es tut mir sehr
     leid, dass Ihre Tante einen Queen-Anne-Stuhl nicht von einem Plastikstuhl von Woolworth unterscheiden konnte› – na ja, ganz
     so habe ich es nicht gesagt, aber sinngemäß   –, ‹doch das ist schließlich nicht mein Fehler. Es steht Ihnen natürlich zu, Ihre eigene Meinung zu haben, aber man wird
     Ihnen überall das Gleiche sagen.›»
    Sie zeigte auf den Aschenbecher auf dem Tisch. «‹Diese Stühle wurden nicht vor den neunzehnhundertfünfziger Jahren gebaut›,
     sagte ich. ‹Und wenn Queen Anne irgendetwas damit zu tun hatte, dann muss sie wesentlich länger gelebt haben, als uns die
     Geschichtsbücher erzählen!›»
    Sie lachte. «Das hat ihnen den Mund gestopft. ‹Ja, und was sollen wir jetzt mit ihnen machen?›, fragte sie. Als wenn das
     mein Problem wäre! ‹Verbrennen Sie sie!›, habe ich gesagt und bin gegangen!»
    Ich merkte, dass an diesem Punkt ein Beitrag von mir erwartet wurde. Ich lächelte anerkennend und brummte: «Recht so.» Das
     reichte. Sie hielt nur lange genug inne, um einen Schluck zu trinken, ehe sie fortfuhr.
    «Und dann, als wenn das nicht genug gewesen wäre, wollte ich nachmittags meine Tochter treffen. Habe ich Ihnen erzählt,
     dass sie Kunst studiert? Na ja, jedenfalls hat sie bald eine Seminarausstellung, und ich habe gesagt, dass ich ihr dafür
     etwas zum Anziehen kaufe. Sie kennen ja die Studenten, nie Geld in der Tasche. Jedenfalls wollte ich sie um zwei Uhr treffen
     – zum Mittagessen hatte sie keine Zeit, deswegen |296| hatte ich Sie gefragt – und wartete in diesem kleinen Weinlokal, das sie vorgeschlagen hatte. Zehn nach zwei. Von Susan keine
     Spur. Halb drei. Immer noch keine Susan. Um Viertel vor drei dachte ich: ‹Irgendwas stimmt hier nicht.› Ich versuche also,
     sie zu erreichen. Ich rufe in der Kunsthochschule an und kriege endlich jemanden an die Strippe, der mir sagt, dass sie
     bereits weg ist. Da ich nicht wusste, was ich machen soll, wartete ich noch eine halbe Stunde. Dann dachte ich, dass es
     besser sei, bei ihrer WG vorbeizuschauen. Sie hat noch keinen Telefonanschluss, müssen Sie wissen, deshalb konnte ich sie
     nicht anrufen. Ich fahre also hin – sie wohnt übrigens in Tooting   –, aber dort war natürlich auch

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