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Voyeur

Titel: Voyeur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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haben
     Sie da gedacht: ‹Okay, das war’s›, und einfach Ihre Pinsel weggepackt?»
    «Nicht ganz.» Ich dachte an damals. «Ich habe einfach das |302| Interesse verloren. Technisch war ich gut, aber das war alles. Meinen Bildern schien immer etwas zu fehlen, ich weiß nicht
     genau was. Jemand sagte einmal, ich würde mit ‹kalter Hand› malen.» Ich hielt inne, peinlich berührt und verärgert, dass
     ich mich hatte aushorchen lassen. «Irgendwann habe ich einfach aufgehört.»
    «Ach. Wie traurig.» Sie tat es mit einem Lächeln ab. «Na ja, ich nehme an, Sie haben heutzutage sowieso nicht viel Zeit.
     Aber wenn Sie noch ein paar alte Bilder von sich haben, würde ich sie gern mal sehen. Vielleicht sind sie besser als in Ihrer
     Erinnerung. Man kann nie wissen, möglicherweise fühlen Sie sich inspiriert, wieder zu malen.»
    Bei der angedeuteten Vertrautheit kam Panik in mir auf. «Ich habe keine mehr. Ich habe sie vor Jahren weggeworfen.» Das war
     die Wahrheit.
    «Sie haben alle Bilder weggeworfen? Ach, wie schade. Ich wette, das bereuen Sie jetzt, oder?»
    Das war mir nie in den Sinn gekommen. Ich war nur froh, dass es keine Bilder mehr gab, die ich ihr hätte zeigen können.
     Ich zuckte unverbindlich mit den Achseln und spürte, wie meine Verspannung stärker denn je zurückkehrte. Der Kellner kam
     und räumte unsere Teller ab.
    «Also, ich weiß nicht, wie es mit Ihnen ist, aber ich werde ein Dessert nehmen», sagte sie. Meine Hoffnung auf einen schnellen
     Aufbruch verließ mich. Sie studierte die Karte. «Ich glaube, ich probiere die Pavlova. Das ist natürlich eine Kalorienbombe,
     aber das ist mir egal. Was ist mit Ihnen?»
    Ich hatte keinen Appetit, aber es schien einfacher zu sein, etwas zu nehmen. Dann würde ich wenigstens etwas zu tun haben.
     «Ja, Pavlova klingt gut.»
    |303| «Sie müssen sich einmal die Arbeiten meiner Tochter anschauen», sagte sie, als der Kellner das Dessert servierte. «Nicht
     unbedingt den Kram, den sie heute macht, obwohl ihre Dozenten ziemlich beeindruckt davon zu sein scheinen, sondern ihre
     frühen Bilder. Ich bin natürlich keine Expertin, aber ich glaube, dass sie verdammt gut sind.» Sie lachte entschuldigend
     und streckte plötzlich ihren Arm aus, um mich wieder zu berühren. Ihre Hand lag schwer auf meinem Arm und stellte eine stumme
     Verbindung zwischen uns her. «Ich höre mich bestimmt wie so eine stolze Mutter an, nicht wahr? Na ja, was soll’s. Wahrscheinlich
     bin ich eine.»
    Sie nahm ihre Hand weg und widmete sich wieder ihrem Nachtisch. «Aber ich finde wirklich, dass sie Talent hat. Sie müssen
     sie mal kennenlernen, dann können Sie sich selbst eine Meinung bilden.»
    Ich umklammerte meinen Löffel. Das klaustrophobische Gefühl war erstickend. Sie fuhr vergnügt fort, mich zu vereinnahmen.
    «Damien hingegen hat fürs Malen kein Händchen. Absolut hoffnungslos. Im Grunde weiß ich gar nicht, was er mit seinem Leben
     anstellen will. Er auch nicht, glaube ich. Ich liebe ihn innig, aber ich wünschte, er würde sich endlich für etwas entscheiden.
     Oder wenigstens für jemanden. Er ist der Älteste, und ich habe ihm gesagt, wenn er sich nicht beeilt und mir bald Enkel
     schenkt, werde ich zu alt sein, um mich an ihnen zu erfreuen. Das ist natürlich nur Spaß. Er hat das Reisefieber, und das
     muss er erst mal loswerden, bevor er etwas anderes macht. Aber immerhin hat er ein paar tolle Dias von seinen Reisen mitgebracht.
     Die Fotos von anderen Leuten sind meistens langweilig, aber von seinen sind manche |304| absolut atemberaubend! Sie müssen mal vorbeikommen, solange er noch da ist, und einen Blick darauf werfen.» Sie lächelte.
     «Sie könnten dann sogar mein Curry probieren, wenn Sie mögen. Das ist meine neueste Kreation, seit er aus Indien zurück
     ist. Was ist los?»
    Sie starrte mich besorgt an. Während sie gesprochen hatte, war meine Anspannung zunehmend schlimmer geworden. Ich merkte,
     dass ich noch immer steif den Löffel umklammerte. «Alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte sie und beugte sich nach vorn, um
     mich wieder zu berühren. Doch dieses Mal konnte ich mich nicht beherrschen und zog schnell meinen Arm weg.
    Ihre Hand schwebte ausgestreckt über dem Tisch. Vor lauter Überraschung hatte sie die Augen aufgerissen. Der Moment schien
     stillzustehen und alles erschreckend deutlich ans Tageslicht zu bringen. Mir fiel auf, dass sie auf ihrer Oberlippe einen
     kleinen weißen Sahnefleck hatte. Ich versuchte, etwas zu

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