Voyeur
scheint das nicht zu glauben, und ich schätze, sie muss es am besten wissen.»
Sie schaute mich beinahe schelmisch an. «Na ja. Das kommt darauf an.» Sie rückte näher und flüsterte plötzlich, als wären
wir in einer Kirche: «Ich habe gehört, dass die Polizei glaubt, er könnte homosexuell gewesen sein.»
Mir fiel auf, dass sie die Vergangenheitsform benutzte. «Ich glaube nicht, dass sie das so deutlich gesagt haben», erwiderte
ich, «aber …» Ich zuckte mit den Achseln. Sie nickte, als hätte ich ihren Verdacht bestätigt.
«Also, so etwas wäre mir wirklich nie in den Sinn gekommen. Aber da kommt man ins Grübeln, nicht wahr? Es eröffnet eine
ganze Reihe von Möglichkeiten.»
Ich äußerte mich nicht dazu, was ihr offenbar nicht genügte. Sie bohrte weiter nach. «Glauben Sie, das könnte … nun ja, das könnte etwas damit zu tun haben, was geschehen ist?»
|285| «Das kann ich wirklich nicht sagen.»
«Nein, natürlich nicht.» Sie zögerte. «Aber was denken Sie? Glauben Sie, dass er solche Neigungen gehabt haben könnte?»
Ich musste daran denken, wie ich Zeppo genau in dieser Meinung bestärkt hatte. «Wenn, dann hätte Anna es mit Sicherheit
gemerkt.»
Jetzt war ihre Enttäuschung nicht mehr zu übersehen. «Nicht unbedingt. Mit so etwas geht man nicht gerade hausieren, oder?
Eine Freundin von mir war zwanzig Jahre verheiratet, ohne zu wissen, dass ihr Mann ein Transvestit war, bis sie ihn eines
Tages in ihren Kleidern erwischt hat.»
Sie schien fast genauso homophob zu sein wie Martys Vater. «Soweit ich weiß, gab es nie einen Hinweis darauf, dass Marty
Annas Kleider getragen hat», sagte ich.
«Nein, sicherlich nicht. Aber er ist doch in diese Nachtclubs gegangen, oder? Und was dort wirklich geschehen ist, kann
niemand von uns sagen.» Sie schaute mich vielsagend an. «Das ist schon ein bisschen seltsam, finden Sie nicht?»
Ich war offenbar einem Menschen begegnet, der eine ähnliche Abneigung gegenüber Marty hatte wie ich. Aber ich wollte mich
nicht kompromittieren, indem ich ihr zustimmte. Ich fühlte mich ihrer Tochter verbunden, und deshalb tat es mir nicht leid,
dass Debbie mich vor einer Antwort rettete, als sie mit dem Tee zurückkehrte. Und mit Mrs. Palmers Kaffee. Mit einem halben Würfel Zucker.
Anna wurde von Debbie aus dem Schlafzimmer herbeizitiert – auf Befehl ihrer Mutter. Mrs. Palmer beherrschte auch das sich anschließende Gespräch, und ich ließ sie gern gewähren. Gelegentliche Bemerkungen von Debbie
oder mir |286| genügten, um ihren Monolog in Fluss zu halten. Anna sagte nichts. Sie schien auch nicht zuzuhören.
Schließlich stellte Annas Mutter ihren Becher ab – mir war aufgefallen, dass Debbie ihr einen angeschlagenen gegeben hatte
– und verkündete, dass es Zeit zum Aufbruch sei. Weder ich noch Debbie hatten unseren Tee ausgetrunken. Anna hatte ihren
gar nicht angerührt.
Bis zu diesem Moment war es mir gelungen, nicht an Annas Abreise zu denken. Plötzlich aber spürte ich wieder die Leere in
meinem Magen.
«Wollen Sie nicht noch zum Mittagessen bleiben?», fragte ich.
«Nein, aber vielen Dank. Ich will nicht in den Berufsverkehr kommen.»
«Sie haben noch eine Menge Zeit. Außerdem werden Sie merken, dass hier den ganzen Tag viel Verkehr ist.»
Mrs. Palmer ließ sich nicht beirren. «Wir machen uns trotzdem lieber auf den Weg. Je schneller wir loskommen, desto eher sind
wir da.»
Mit dieser Belehrung begann sie die Vorbereitungen für ihre Abreise. Diese bestanden darin, Anna aufzufordern, den Koffer
aus dem Schlafzimmer zu holen und Debbie anzuweisen, das Geschirr zurück in die Küche zu bringen. «Spül auch schnell ab,
wenn du schon mal dort bist, ja, Schätzchen?», sagte sie. Ich durfte bleiben, während sie in ihrer Handtasche herumwühlte
und ihr Make-up auffrischte.
Wir verließen die Wohnung. Ich trug Annas Koffer nach unten und packte ihn in den Kofferraum des Volvos ihrer Mutter. Als
Debbie sie in den Arm nahm und küsste, stand ich unschlüssig etwas abseits. Dann kam Anna zu mir und |287| umarmte mich. Sie war wieder kurz davor zu weinen. «Danke, Donald. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.»
Ich tätschelte ihren Rücken. Sie ließ mich los und stieg in den Wagen. Ich winkte ihnen hinterher, und dann waren sie verschwunden.
Debbie schnaubte wütend. «Gott, die arme Anna. Mit so einer Mutter ist man ja gestraft. Woran ist wohl ihr letzter Sklave
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