VT09 - Die tödliche Woge
Bekämpfung der Gruh zugedacht hatte. Er fühlte sich unterfordert. Schlimmer noch, er fühlte sich zurückgesetzt.
De Fouché wird sich so lange zurückgesetzt fühlen, bis er endlich den Thron meines Vaters eingenommen hat – den einzigen Platz in diesem Universum, mit dem er sich auf Dauer anfreunden könnte.
De Fouché war also ein Problem. Allerdings eines, um das sie sich vorläufig nicht kümmern konnte. Sie konnte nur hoffen, dass er ihre Befehle befolgen würde.
Dann waren da – natürlich – die Gruh. Kanzler Goodefroot hatte soeben weitere Nachrichten von seinen Spähern erhalten, die bestätigten, dass die gefräßigen Kreaturen auf direktem Weg auf Muhnzipal zustrebten.
Sollte sie Muhnzipal komplett evakuieren und nur das Militär dort zurücklassen, das dann im Kampf gegen die Gruh keine Rücksicht auf Zivilisten mehr nehmen musste?
Aber was, wenn die Gruh tatsächlich von einer Art übergeordneten Kraft gelenkt wurden? Einem Herrscher, der Maries Strategie durchschaute – und sie vielleicht sogar bewusst provozierte…? Vielleicht war der langsame Marsch der Gruh nur ein Trick, um sie genau dazu zu bringen – dass sie Militär und Zivilbevölkerung voneinander trennte.
Sie hätte sich gewünscht, ihren Vater an ihrer Seite zu haben. Auf seinen Rat hätte sie vertrauen können. Kanzler Goodefroot hingegen war, nun ja, ein loyaler Beamter, aber mehr auch nicht. De Fouché dagegen verfolgte eigene Ziele, und Prinzessin Antoinettes strategisches Talent war… stark eingeschränkt, um es einmal höflich zu formulieren.
Maries Blick ging wieder zu Doktor Aksela, die inzwischen den Blutabfluss unterbrochen hatte und die Injektionsnadel aus der Wunde zog. Marie hatte ihr immer noch nicht die eine, die alles entscheidende Frage gestellt, die ihr die ganze Zeit im Kopf herumging.
»Ihr seid eine hervorragende Ärztin«, wich sie abermals aus.
»Ich bin froh, dass mein Vater euch nach Orleans-à-l’Hauteur geschickt hat.«
Doktor Aksela lächelte, während sie die Wunde in der Armbeuge mit Alkohol desinfizierte. »Ich tue, was ich kann, Eure Excellenz.«
»Nein, ihr tut mehr als das. Ihr rettet Menschenleben, während der Rest von uns… nun ja, herumdiskutiert!«
»Das ist nicht wahr, Eure Excellenz, und Ihr wisst es.«
Marie fasste die Ärztin ins Auge. »Warum seid ihr Medizinerin geworden, Doktor Aksela?«
Die Frage schien sie zu überraschen. »Nun, ich finde, dass es kein größeres Wunder auf dieser Welt gibt als den menschlichen Körper. Er ist so perfekt und gleichzeitig so unvollkommen…«
»Ihr wisst, wie er funktioniert?«
»Kaum. In der Medizin gibt es stets mehr Fragen als Antworten. Und Doktor Legumas tragischer Tod hat alles nur noch verschlimmert. Er war uns allen voraus. Sein Kopf barg ein immenses Wissen, von dem nun das meiste verloren ist…«
»Hat er keine Aufzeichnungen angefertigt?«
»Teils, teils.«
»Was wollt ihr damit sagen?«
Aksela zögerte. »Die Antwort ist kompliziert, Eure Excellenz.«
Marie runzelte die Stirn. Wovon redete Doktor Aksela da?
Hatte Doktor Leguma ein Geheimnis gehütet? »Sprecht weiter.«
Doktor Aksela hob die Hände. »Das kann ich nicht. Ich will Doktor Legumas Ansehen nicht nachträglich beschädigen.«
»Aber ich befehle es euch! Erzählt mir, woher er sein Wissen bezog.«
Die Ärztin blickte sie ernst an. Es schien ihr außerordentlich schwer zu fallen, das Gespräch fortzusetzen. »Er hat viel geforscht, aber das bedeutet nicht, dass diese Forschungen stets einen Sinn ergeben haben. Er war sehr sprunghaft. Ich war seine engste Vertraute, aber auch ich habe nicht immer verstanden, was er mit seinen Versuchen bezweckt hat.«
»Ihr redet um den heißen Brei herum, Doktor!«
»Ihr habt Recht. Verzeiht mir. Nachdem Doktor Leguma an dem Gruhgift gestorben war, sichtete ich seine Unterlagen. Ich hoffte in seinen Aufzeichnungen Hinweise darauf zu finden, wie das Gift übertragen wird – und auf welche Gefahren wir alle uns vorzubereiten hätten. In seinem Arbeitszimmer stieß ich auf viele Aufzeichnungen – aber nur die wenigsten davon wurden von Doktor Leguma selbst angefertigt! Die meisten sind bereits Jahrhunderte alt. Es handelt sich um gedruckte Bücher. Darin befinden sich beschriftete Abbildungen und Texte, von denen ich zunächst nicht viel verstand, weil mir viele der Wörter unbekannt waren. Aber nach und nach bekam ich ein Bild, wovon die Autoren sprachen. Heute zweifle ich nicht mehr daran, dass diese medizinischen
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