VT09 - Die tödliche Woge
seine Bezahlung wären um ein Vielfaches höher denn als Kanzler von Avignon. »Aber wie ich hörte, soll Pilatres alter Freund Wabo Ngaaba Favorit auf den Posten sein.«
»Turlututu!«, unterbrach sie ihn. »Der Kaiser hat ein besonderes Ohr für meine Wünsche. Wenn ich eine Empfehlung ausspreche, würde er sie nie übergehen!«
Daran hegte Kanzler Leclerc einige Zweifel, die er jedoch lieber für sich behielt. Geduldig wartete er, was Lourdes als Preis für ihre Unterstützung verlangen würde.
»Es geht da um eine, äh, sehr heikle Sache«, hob sie an, »für die ich einen Mann brauche, auf den ich mich hundertprozentig verlassen kann.«
»Wie ich Euch bereits sagte…« Er ließ den Rest unausgesprochen.
»Ich hatte heute Morgen einen Disput mit meiner überaus fordernden Schwester Antoinette. Es ging um die Staatsfinanzen. Ihre politischen Vorstellungen unterscheiden sich leider erheblich von den meinigen, sodass ein Konflikt unvermeidlich ist. Ich würde deshalb gern wissen, auf welcher Seite er in diesem Konflikt zu stehen gedenkt, Kanzler.«
Bisher hatte er gar nicht gewusst, dass Lourdes überhaupt politische Vorstellungen hatte. Darum also ging es. Sie wollte ihn beim Zickenstreit mit ihrer dämlichen Schwester auf ihre Seite ziehen. Leclerc ahnte, dass er bei dieser Konfrontation nur verlieren konnte, ganz egal, für wen er sich entschied.
»Nun?«, dehnte sie.
»Eure Excellenz, ich… Das ist eine schwierige Entscheidung. Es gibt viele Faktoren zu berücksichtigen.«
»Denke er an das Angebot, dass ich ihm gemacht habe! Ich verlange nichts weiter als eine einfache Antwort.«
»Darf ich fragen, worum es bei diesem Streit ging? Vielleicht gelingt es mir, zwischen Euch und Eurer Schwester zu vermitteln.«
»Nichts da! Die Zeiten, in denen ich mich mit dieser dummen Kuh arrangiert habe, sind vorbei. Der Thron ist zu klein für uns beide.«
Das ist er zweifellos, schoss es Leclerc durch den Kopf, und um ein Haar wäre er in ein verzweifeltes Gelächter ausgebrochen.
»Auf ein Wort, Kanzler. Ist er auf meiner Seite oder nicht?«
»Ich, äh…« Er seufzte. »Ja, ich bin auf Eurer Seite, Eure Excellenz.«
»Gut«, sagte sie und lehnte sich zufrieden zurück. »Dann dürfte es ihm wohl auch keine Schwierigkeiten bereiten, alles Nötige in die Wege zu leiten. Es muss schnell gehen, am besten noch vor dem Beginn des Festes, und natürlich darf niemand Verdacht schöpfen, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt haben könnte.«
Er runzelte die Stirn. »Ein Unfall? Ich fürchte, ich verstehe nicht genau, was Ihr meint.«
»Stelle er sich nicht dümmer, als er ist!«, zischte sie ungehalten. »Ich überlasse es ihm, den genauen Ablauf zu organisieren. Aber eines sollte wohl feststehen: Je weniger Mitwisser es gibt, desto besser.«
Leclerc wurde blass. Ach du Scheiße. Sie plante den Mord an ihrer Schwester! »Aber Eure Excellenz…«
»Das wäre dann alles, Kanzler.«
Leclerc sprang auf, als wäre ihm plötzlich der Stuhl unter dem Hintern zu heiß geworden. In seiner Kehle klebte ein Kloß von der Größe eines Nilrosses.
Er nickte hastig und verließ ohne ein weiteres Wort den Thronsaal.
»Und wage er ja nicht, mich zu enttäuschen!«, keifte Lourdes ihm hinterher.
***
Gegenwart
»Doktor Aksela?« Marie überlegte, wie sie die Frage formulieren sollte, die ihr auf der Zunge lag. Sie betrachtete mit einer Mischung aus Neugier und Widerwillen das bauchige Glasgefäß vor ihr, das über einen Schlauch mit einer Injektionsnadel verbunden war, die in ihrer Armbeuge steckte.
Langsam füllte sich das Glasgefäß mit ihrem Blut.
»Wie viel Blut werdet ihr benötigen?«
»Je mehr, desto besser.« Doktor Aksela lächelte. »Aber ich werde schon dafür sorgen, dass man Euch nicht mit einem Gruh verwechselt, wenn Ihr diesen Raum verlasst…«
Prinzessin Marie lächelte. Doktor Aksela gefiel ihr. Die hagere Frau in mittleren Jahren strahlte eine Ruhe aus, die auf jeden in ihrer Umgebung abfärbte. Obwohl Aksela seit Wochen intensiv an dem Gruhgift forschte, wirkte sie frisch und munter. Marie wünschte sich, etwas von der Energie der Ärztin zu besitzen. Sie fühlte sich immer noch matt und schrecklich überfordert von den Entscheidungen, die ihr abverlangt wurden.
Da war vor allem Pierre de Fouché, der ihr Sorgen machte.
Man brauchte nicht viel Einfühlungsvermögen, um zu erkennen, dass der Sonderbeauftragte für Militärisches keineswegs zufrieden war mit der Rolle, die Marie ihm bei der
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