VT10 - Tod im Blut
Blick. Der Ulungu lag auf einem Ast, hoch über den Köpfen seiner Jäger. Gelegentlich verschob er eine Pranke, fuhr sich hin und wieder mit rauer Zunge übers Fell. Er gähnte auch manchmal und ließ die kräftigen Kiefer zuschnappen. Doch er rührte sich nicht vom Fleck. Das ging schon seit dem frühen Morgen so, und allmählich sah es aus, als ob die Geduldsprobe zwischen Mensch und Tier zu Gunsten des Ulungu enden würde.
Er war ungeachtet des kuriosen Äußeren ein typischer Vertreter seiner Art. Lepaaden jagten bevorzugt von oben, das ließ sie unsichtbar werden für vorbeiziehendes Wild und nahm ihre Witterung aus dem Wind. Sie belauerten ihre Beute mit schier endloser Geduld, und es konnte Stunden dauern, ehe ein Grasfresser unwissentlich die richtige Stelle zum Angriff betrat.
Ich werde nicht aufgeben, und wenn sich das bis zum Abend hinzieht!, schwor sich Ngomane. Sein Lieblingssohn sollte beim umutsha-Fest den ersten Lendenschurz erhalten, dafür brauchte er das Fell. Um-Lilwane (Kleines Feuer) war ein viel versprechender Junge, klüger und kräftiger als seine älteren Brüder. Er würde eines Tages den Platz seines Vaters einnehmen, und es war Tradition, dass der Fürst der Banzulu ein Lepaadenfell trug.
Wochenlange Planung war dem heutigen Tag vorausgegangen. Die Banzulu hatten den Silbergrauen eher zufällig während einer Treibjagd entdeckt. Seitdem beobachteten sie ihn. Sie waren dabei auf Abstand geblieben, um ihn nicht nervös zu machen und aus dem Revier zu verscheuchen. Nach und nach lernten sie seine Gewohnheiten kennen. Sie fanden heraus, wo seine bevorzugten Plätze waren und wie oft er sie frequentierte. Es gab eine Wasserstelle im Nebelwald, da kam er besonders gern hin – und dort warteten sie jetzt auf ihn.
Man hatte erst überlegt, eine Ziege herbeizuschaffen, als Köder für die Bestie. Doch Ngomane war dagegen gewesen, denn Ziegen wurden auch von anderen Raubtieren gerissen, und es wäre ziemlich töricht, ausgerechnet heute einen Fleischfresser an die Tränke zu locken.
Das Gute an der Wasserstelle war, dass der schäumende Zulauf von kleinen Bewegungen und Geräuschen ablenkte.
Lepaaden hatten einen ausgesprochen feinen Gesichtssinn und scharfe Ohren, da musste man vorsichtig sein.
Das Schlechte war die Kälte. Bei Anbruch der Morgendämmerung, bevor der Ulungu erschien, hatte Ngomane seine Männer halbkreisförmig im Wasser positioniert. So waren sie geschützt und konnten sich gegenseitig über die Schulter sehen für den Fall, dass etwas Größeres nahte als Giftschlangen oder Impisi-Ameisen. Doch er hatte die Ausdauer des Silbergrauen unterschätzt.
Klippspringer und Pinselohrpiigs waren gekommen und wieder abgezogen. Der Ulungu hatte sich nicht gerührt, und seine Jäger litten. Es ging an die Nerven, Stunde um Stunde reglos unter einer Tarnung aus Zweigen und Uferschlamm dazustehen, während das kalte Gebirgswasser die Beine ertauben ließ und immer wieder boshaft über den Unterleib schwappte.
Plötzlich bewegte sich etwas zwischen den Bäumen. Eine Rehantilope nahte! Es war ein älterer Bock, etwa achtzig Zentimeter hoch, mit weißem Stichelhaar am Geäse. Er passte ins Beuteschema der Lepaaden, und tatsächlich schien er das Interesse des Ulungu geweckt zu haben: Ngomane sah, wie der bis dahin träge herunterhängende Schwanz der Raubkatze zu peitschen begann.
Wenn Tenga jetzt niest, werde ich ihn töten!
Tenga war der Jüngste der vier Jäger, die den Banzulu-Fürst begleiteten. Eingehüllt in feine Sprühnebel, hatte er schon mehrmals Grimassen geschnitten, um das Kitzeln in der Nase loszuwerden. Ngomane sah ihn warnend an. Dann wanderte sein Blick in die Höhe.
Der Ulungu hatte sich in Lauerstellung begeben: die Hinterläufe sprungbereit angezogen, den Kopf vorgereckt. Er war dabei ein Stück aus dem Laubversteck gekommen, und Ngomane konnte ihn zum ersten Mal genauer betrachten.
Ich hatte ihn größer und stärker in Erinnerung, dachte er.
Doch es gab keinen Grund, enttäuscht zu sein. Der Silbergraue war gut anderthalb Meter lang und wog bestimmt sechzig Kilo, das ergab ein stattliches Fell.
Inzwischen war der Antilopenbock bei den letzten Bäumen angekommen. Jeden Moment musste er ins Freie treten, auf den abschüssigen Boden, der zum Wasser führte.
Doch auf einmal zögerte er. Der ohnehin erhobene Hals streckte sich noch mehr, die langen Ohren spielten nervös.
Unruhig sicherte das Tier in alle Richtungen. Man konnte die Spannung sehen, die den
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