VT11 - Flammender Himmel
Stunde löschten viele Raubtiere ihren Durst, als Abschluss der nächtlichen Jagd.
Plötzlich duckten sich die Banzulu, zogen Nandi mit sich herunter. Weiter vorn krachte es im Geäst. Vögel flatterten auf, dann fiel etwas mit dumpfem Schlag zu Boden. Ngomanes misstrauischer Blick suchte die Laubdächer ab, fand die Ursache des Geräusches.
»Ein Leberwurstbaum«, sagte er leise und erhob sich.
Seine Gefährten taten es ihm nach. Sie überquerten die Lichtung, hielten beim Eintauchen unter das grüne Dach des Waldes sorgfältig Ausschau nach dem gefährlichen Gehölz. Seine Früchte sahen aus wie lange braune Würste. Sie wuchsen in großer Höhe, und sie wogen, wenn sie reif waren, gut fünf Kilo. Es war nichts Ungewöhnliches, unter einem Leberwurstbaum ein zerschmettertes Gerippe vorzufinden.
Ngomane dachte sich nichts dabei, als er in sicherer Entfernung an dem mächtigen Stamm vorbeiging und auf der Decke welker Blätter am Boden weiße Knochen schimmerten. Er hielt Nandi an der Hand, und sie zog ihn ungeduldig vorwärts. Sie hatte einen Zachunstrauch entdeckt, von kleinen Papageien umflattert. Sie waren hinter den Nüssen her, zankten und schwatzen und brachten den ganzen Strauch in Bewegung. Das Kind freute sich über den Anblick, der so ganz anders war als die Schreckensbilder von Kilmalie. Deshalb ging der Banzulu-Fürst bereitwillig mit.
»Ngomane!«
Er kannte diesen Klang in der Stimme Dingiswayos. Wenn der Erste Jäger so sprach, verlor man besser keine Zeit. Ngomane ließ das Mädchen los und drehte sich um.
Dingiswayo war stehen geblieben und zeigte auf den Leberwurstbaum, oder genauer: auf die bleichen Knochen am Fuß des Stammes. Diesmal sah der Banzulu-Fürst richtig hin.
Seine Augen weiteten sich.
»Das ist kein Tier!«, sagte er alarmiert. Er wandte sich Nandi zu. »Du bleibst hier! Rühr dich nicht von der Stelle, verstanden?«
Ngomane wartete ihr erschrockenes Kopfnicken nicht ab. Er winkte Dingiswayo und Tenga zu sich, und gemeinsam machten sich die drei auf den gefährlichen Weg unter die Baumkrone. Einer behielt die schweren reifen Früchte im Auge, der andere sicherte das Umfeld. Leberwurstbäume wurden gern von Wald-Efranten besucht, die sich an den gärenden Früchten gütlich taten.
Vorsichtig ging Ngomane auf das rätselhafte Skelett am Baumstamm zu, und je näher er kam, desto mehr verstärkte sich das mulmige Gefühl in seiner Brust. Vor einiger Zeit hatte er einen Boten nach Kilmalie geschickt. Adeyemo sollte herausfinden, ob das Dorf nach dem Vulkanausbruch noch stand. Er war vorgestern zurückgekehrt, dann aber gleich wieder aufgebrochen, weil die Geisterfrau eine Vision gehabt hatte. Seitdem wurde Adeyemo vermisst.
»Ach, verdammt!«, entfuhr es Ngomane, als er vor dem Baumstamm anhielt. Widerwillen und Trauer spiegelten sich auf seinem Gesicht. Er wandte sich ab, musste sich zwingen, wieder hinzusehen.
Adeyemo lag auf dem Bauch, sein eigener Speer ragte aus gebrochenen Rippen nach oben. Die untere Körperhälfte war noch erhalten. Fleckig, eingesunken und von Maden übersät verfaulte sie auf dem Waldboden. Kopf, Brust und Arme aber waren nur noch blanke Knochen. Auf der Trennlinie zwischen Skelett und Fleisch klebte der vertrocknete Rest einer Baumfrucht.
Ngomane trat näher. Ein großer Tausendfüßler kam mit fließender Bewegung aus Adeyemos Augenhöhlen, rollte sich zusammen und plumpste herunter, als der Schatten des Banzulu-Fürsten über ihn fiel.
Aus der Nähe zeigte sich, warum Adeyemo abgenagt dalag, ohne dass die Knochen verschoben waren, was bei einer Fressattacke von Wildtieren normal gewesen wäre: Rings um den Körper wimmelte es von Ameisen. Ngomane fuhr zurück.
»Impisi!«, warnte er und sprang hastig auf Abstand. Impisi, das bedeutete Hyänen, und die blauen Waldameisen wurden nicht ohne Grund so genannt. Sie waren Allesfresser mit enorm kräftigen Beißwerkzeugen. Was ihnen vor die Fühler kam, verschleppten sie in ihr unterirdisches Nest, egal ob es lebte oder tot war. Große Beute schnitten sie vorher in handliche Stücke. Wie Adeyemo.
Ngomane und seine Begleiter waren verunsichert, das sah man ihnen an. Doch es war nicht der Anblick des toten Banzulu, der sie aus dem Gleichgewicht brachte: Unter dem Baum lag noch ein zweiter Mann! Wenigstens hofften sie, dass es ein Mann war und nicht ein böser Geist. Adeyemo musste mit ihm gekämpft haben. Seine Machete war blutverkrustet, neben ihm lag ein abgehackter Fuß. Der Kopf des Fremden war ein
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