VT11 - Flammender Himmel
rasch.
Es knackte im Unterholz. Bevor Mambotu wusste, wie ihm geschah, kam eine einzelne Gestalt aus dem Gebüsch unter den hohen Kiba-Bäumen hervor und wankte auf ihn zu.
Mambotu war völlig überrascht. Er sah nur die graue Haut und die hellen toten Augen und wusste in diesem Moment, dass all die Gerüchte und Gräuelgeschichten, die er gehört hatte, stimmten. Das muss einer dieser Gruh sein! Ich bin verloren!
Er stolperte zurück, rutschte im Schlamm aus. Der Grauhäutige beugte sich über ihn. Knochige, eiskalte Finger bohrten sich in seine Stirn. Was hatte Henri noch gesagt? Nicht beißen lassen! Den Kopf schützen!
Mambotu schrie. Er trat nach dem Grauhäutigen, schlug nach seinen Armen, aber die Finger ließen nicht los. Er glaubte, sein Kopf würde zerbersten, als er ein feines, aber vertrautes Zischen hörte. Ein weißer Vogelhals tauchte vor ihm auf. Ein Schnabel hieb in die Kehle des Grauhäutigen und warf ihn zurück.
Mambotu kam auf die Beine. Der Witveer hackte auf die Gestalt ein, riss ihr den Kopf vom Körper. Sie zuckte noch einmal und lag dann reglos am Boden. Das Tier schüttelte sich. Sein blutiges Gefieder leuchtete orange in der untergehenden Sonne.
»Ab ins Wasser mit dir«, sagte Mambotu und verstärkte den Befehl mit einer Geste. Sein Herz raste. Wie war das noch gewesen mit dem Blut der Grauhäutigen? Trug es nicht auch den Tod in sich? Genügte nicht schon ein einziger Tropfen, um selbst zum Gruh zu werden? Oder war das eine der zahlreichen Übertreibungen gewesen?
Im Wasser wurde das Gefieder des Witveers schnell wieder weiß. »Hast mich gerettet«, sagte Mambotu, als das Tier an Land watschelte. Er strich ihm über den Hals. Der Witveer schien unverändert. Kein Anzeichen, dass er sich angesteckt hätte. »Ich lasse dich nicht im Stich«, flüsterte Mambotu. »Muss keiner wissen, was hier passiert ist.«
***
Ankunft in kwaBulawayo
Es war Mittag, als Ngomane mit seinen Begleitern den Wald verließ und über die Weideflächen nach kwaBulawayo lief. Er merkte schon von weitem, dass etwas nicht in Ordnung war. Das Vieh hätte um diese Zeit längst draußen sein müssen. Und die Hütejungen. Aber sie waren es nicht. Niemand ließ sich blicken.
»Nkosi?«, fragte Tenga ahnungsvoll.
»Keine voreiligen Schlüsse!«, befahl Ngomane und beschleunigte das Tempo. »Vielleicht sind die Rinder krank geworden. Kann auch sein, dass die Leute verschlafen haben. Es gab ja sicher ein Fest für Tleto, den Ersten Viehhüter. Seine Frau hat doch ein Kind bekommen.«
»Das war vorgestern, Nkosi«, sagte Dingiswayo mit Grabesstimme.
»Ach, ja. Stimmt.« Ngomane zwang sich zur Ruhe. Er musste Stärke zeigen, denn er war der Nkosi, der Anführer, und seine Männer sahen zu ihm auf. Doch er spürte, wie die lastende Schwere auf seinen Schultern immer erdrückender wurde, je näher er kwaBulawayo kam.
Es war so still.
Ngomane kannte jeden Stein auf dem Weg, jedes verflochtene Holzstück am Dorftor, das die Zeit und der Wind gelockert hatten. Die kleinen grünen Eidechsen, die sich so gern im Staub davor sonnten, und den Honigvogel, der oben im Torbogen nistete. Alles war ihm vertraut: die Hütten, die Gemüsegärten, das Baumhaus der Geisterfrau… er hätte mit verbundenen Augen durchs Dorf laufen können, ohne irgendwo anzustoßen.
kwaBulawayo war sein Zuhause, hier war er aufgewachsen. Im Haus von Dingiswayos Vater war er der Liebe seines Lebens begegnet, mit Adeyemo hatte er um sie gekämpft. Er hatte die Alten begraben und Geburten gefeiert, hatte den Lepaadenthron errungen und seine Söhne zu mutigen Kriegern erzogen.
Ngomane bemerkte die Tränen nicht, die ihm übers Gesicht liefen. Er ging durch die Straßen wie ein Mann ohne Seele; taub, mechanisch. Nur sein blutendes Herz brach mit jedem Schritt noch ein bisschen mehr.
Sie waren alle tot. Menschen, Tiere… kein Leben mehr. Da waren Mütter, die noch im Tod ihre Kinder schützend umklammerten. Dort lag Glele. Da drüben Ngomanes Bruder Mwemesi. Tleto, der Erste Viehhüter. Er lehnte an seiner Hütte, einen Knüppel in der erkalteten Hand. Seine Augen fehlten.
Niemand hatte mehr Augen. Die Rinder nicht, die Ziegen nicht, kein Banzulu. Das ganze Dorf starrte seinen Anführer aus leeren, blutverkrusteten Höhlen an. Wo warst du, Nkosi? fragten die Toten. Wir haben nach dir gerufen in unserer Not, doch du warst nicht da.
»Ngomane! Ngomane, wach auf!«
Es war die Stimme der Geisterfrau, die ihn aus gnädiger Ohnmacht zurück rief in
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