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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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nicht Tina Turner einen jüngeren
Geliebten? Mit diesem flüchtigen Gedanken betrat Franca das Polizeigebäude. Vor
der Info standen eine Frau und ein Mädchen. Das Kind, das etwa sieben Jahre alt
war, wirkte verängstigt und eingeschüchtert. Die Frau war altmodisch gekleidet,
sie trug eine beige Strickjacke mit Zopfmuster und einen wadenlangen, dunklen
Glockenrock. Aufgeregt wedelte sie mit den Händen und versuchte, dem Pförtner
hinter der Scheibe etwas zu erklären. Neben ihr auf dem Boden war eine
Plastiktüte abgelegt mit dem Aufdruck eines Discounters.
    Franca
trat hinzu. »Kann ich helfen?«
    »Die
Herrschafte wolle unbedingt zum Chef«, sagte der Pförtner. »Awwer des geht doch
net. Frau Mazzari, könne Sie sich da net kümmern?«
    »Worum
geht’s denn?«, fragte sie und lächelte dem Mädchen freundlich zu, das sich
sofort hinter seiner Mutter versteckte.
    »Meine
Tochter«, sagte die Frau mit hartem Akzent, den Franca in Russland verortete,
»ist angegriffen worden. Von böse Mann. Wir müssen melden. Chef von Polizei.«
    »Wie
heißt du denn?«, fragte Franca und ging vor dem Mädchen in die Hocke.
    Das
Kind schaute erschrocken und presste sich noch enger an seine Mutter.
    »Weißt
du, zu mir kommen viele Kinder. Weil die wissen, dass die Polizei ihnen hilft.
Und dass sie überhaupt keine Angst zu haben brauchen. Sagst du mir, wie du
heißt?«
    »Lara«,
sagte sie leise.
    »Das
ist aber ein schöner Name.« Franca richtete sich wieder auf.
    »Es ist
Name aus ›Dr. Schiwago‹«, erklärte ihre Mutter und lächelte wehmütig. »Erinnert
an Heimat.«
    Franca
nickte. Lara’s Theme. Weißt du, wohin all meine Träume ziehn. Karel Gott
hatte das mal gesungen. Auf Deutsch. Zu Balalaikaklängen. Sie hatte das Lied
gemocht damals. Heute mochte sie Tina Turner.
    Das
Mädchen sagte: »Es ist ein russischer Name.« Anders als die Mutter sprach das
Kind akzentfrei.
    »Weißt
du was, Lara? Wir gehen jetzt alle in mein Büro. Du, deine Mama und ich. Dort
unterhalten wir uns ein bisschen. Einverstanden?« Und als das Kind immer noch
zögerte, fügte sie hinzu: »Da hab ich auch was ganz Schönes für dich.«
    Zu dem
Pförtner gewandt, sagte sie: »Ich kümmere mich um alles Weitere.«
    »Is
gut, Frau Mazzari«, rief er ihr sichtlich erleichtert durch die Sprechöffnung
der Glasscheibe zu.
    Die
Mutter des Mädchens hob die Plastiktüte auf. Franca ging voraus. Hielt Mutter
und Tochter Türen auf und nahm den Fahrstuhl nach oben. Die ganze Zeit ließ
Lara die Hand ihrer Mutter nicht los. In der dritten Etage stiegen sie aus,
gingen weiter über den Flur. In ihrem Büro war, wie erwartet, noch niemand.
Hinterhuber war bei einer Gerichtsverhandlung, Clarissa begleitete ihn. Franca
bat Mutter und Kind, auf den beiden Besucherstühlen Platz zu nehmen, die sie
schnell freiräumte. Lara wollte unbedingt auf den Schoß der Mutter.
    Franca
bemerkte den sehnsüchtigen Blick des Kindes auf das gefüllte Süßigkeitenglas,
das auf ihrem Schreibtisch stand.
    »Du
darfst dir gern was rausnehmen, Lara«, sagte sie zu dem Mädchen, das sofort
ihrer Aufforderung folgte.
    Dann
wandte Franca sich an die Mutter: »Möchten Sie etwas trinken?« Sie überlegte,
ob etwas Trinkbares außer Kaffee und Tee da war.
    »Nein
danke«, antwortete die Frau, die sich als Lydia Weisglas vorstellte. »Keine
Umstände.«
    »Erzählen
Sie doch bitte der Reihe nach«, bat Franca. »Was ist passiert?«
    »Meine Tochter
verschwunden gestern«, radebrechte die Mutter. »Sie sagt, da war Zauberer. Der
hat sie mitgenommen in Wald. In sein Auto. Ich ihr immer gesagt: Geh nicht mit
Fremde, Lara. Aber sie hört net.« Die Frau sprach mit anklagender Stimme.
Zwischendurch verfiel sie ins Russische, besann sich dann wieder und fuhr in
gebrochenem Deutsch fort.
    Franca
hörte ihr geduldig zu. Das Kind lutschte an seinem Bonbon und schaute zu Boden.
    Lara
war ein hübsches Mädchen mit hellblonden Haaren, die ihr in Locken auf die Schultern
hingen. Sie trug einen Haarreif mit Margaritenblüten.
    »Hören
Sie, wir nach Deutschland gekommen, weil in Russland schlecht. Sehr schlecht.
Ganze Familie in Deutschland. Wir denken, hier gut. Verwandte sagen das. Wir
kommen her. Und dann passiert Böses. Ganz Böses.«
    »Das
tut mir leid«, sagte Franca. »Umso wichtiger ist es, dass wir genau festhalten,
was passiert ist.«
    Nach
und nach ergab sich ein zusammenhängendes Bild. Sie erfuhr, dass Lara gestern
Nachmittag vom Spielen nicht zu der verabredeten Uhrzeit nach Hause

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