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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Keiser
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dem aufgedruckten Spruch darunter heraus und
strich es glatt.
    »Lies
vor!«, befahl sie mit vollem Mund.
    »Dazu
brauch ich meine Brille. Die Schrift ist ja winzig.« Die Lesebrille lag
griffbereit auf dem Nachttisch. Er setzte sie auf.
    » Con
i tuoi baci, no disegnato il mio cielo stellato – Mit deinen Küssen habe
ich meinen Sternenhimmel gezeichnet. – Na, was sagst du?«
    »Wunderschön.«
Lächelnd wickelte sie ein zweites Bacio aus, steckte es ihm in den Mund und las
nun ihrerseits mit Hilfe seiner Lesebrille den aufgedruckten Spruch: » Invecchia
incieme a me, il meglio deve ancora venire. «
    »Klingt
schön, wenn du italienisch sprichst«, sagte er.
    »Sprechen
ist gut. Leider hab ich es nie richtig gelernt. Aber die Sprachmelodie ist mir
noch gut im Ohr.«
    »Und
was heißt das auf Deutsch?«
    Sie
stutzte. »Nee, das les ich jetzt nicht.«
    »Wieso?«
Er nahm ihr das Zettelchen aus der Hand und die Brille von der Nase. »Werde alt
mit mir, das Beste kommt noch.« Er lachte laut. »Klingt doch super, oder?« Er
wandte ihr den Kopf zu. »Darüber solltest du dir vielleicht Gedanken machen.«
    Die
Stimmung war aufgeheizt. Sie glaubte nicht wirklich, dass er ernst meinte, was
er da von sich gab. Dennoch waren es schöne Worte, die sie einhüllten wie eine
warme kuschelige Decke.
    »Ich
weiß so wenig von dir. Erzähl mir doch mal ein bisschen was«, bat sie nach
einer Weile.
    »Du
weißt alles, was wichtig ist. Wichtig ist, dass du eine tolle Frau bist, die
ich liebe.« Er strahlte sie an.
    »Erzähl
mir von deiner Kindheit.«
    Sofort
verschloss sich sein Gesicht. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen.« Er legte sich
auf den Rücken, starrte in die Luft.
    »Ich
weiß nicht, warum man immer auf der Vergangenheit rumreitet. Man kann sie doch
sowieso nicht ändern, also lässt man sie am besten ruhen.«
    »Mit
einer aufgearbeiteten Vergangenheit kann man die Gegenwart besser verstehen.«
    »Du
hättest Psychologin werden sollen.« Er lachte.
    »Das
gehört ein bisschen zu meinem Beruf dazu.« Sie kitzelte ihn an der Seite. Er
zuckte zusammen, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Bitte nur eine
kleine Anekdote«, insistierte sie.
    »Ich
war ein sehr lieber und braver Junge.«
    »Wer’s
glaubt.«
    »Okay.
Du hast mich durchschaut. Ich war ein furchtbares Kind, das allen auf den
Wecker fiel.«
    »Das
glaub ich schon eher.«
    »Besonders
den sonntäglichen Kirchgang hab ich geliebt.«
    »Ach?«
    »Ja, da
war immer was los. Aufstehen. Setzen. Auf die Knie. Die Pfarrer waren so schön
verkleidet und wedelten mit den Weihraucheimerchen.« Er machte eine
entsprechende Bewegung. »Die verstanden was von Showeffekt. Klasse fand ich
auch die Möglichkeit, zu beichten. Sich von allen seinen Sünden reinzuwaschen,
das hat was. Du konntest anstellen, was du wolltest. Ein paar Rosenkränze
beten, und der Herr hat’s verziehen.«
    »Da
kann ich nicht so ganz mitreden, ich bin evangelisch erzogen worden«, sagte
Franca.
    »Da
hast du was versäumt. Ehrlich.«
    Sie
mochte diese Plänkeleien. Sie gaben ihr ein Gefühl der Unbeschwertheit, der
Leichtigkeit. Endlich musste einmal nicht alles so furchtbar ernst genommen
werden.
    »Du
schuldest mir noch eine Anekdote.«
    »Du
lässt wohl nie locker.« Er seufzte. »Also gut. Es war um die Neujahrszeit, ich
hatte noch ein paar Silvesterkracher übrig, auch ein paar Knallfrösche. Einen
davon habe ich heimlich angezündet und dem Pfarrer vor die Füße geschmissen.
Kannst du dir vorstellen, was da los war?« Er kicherte wie ein kleines Kind.
    »Das
hast du wirklich gemacht?«
    »Du
glaubst mir nicht?«
    Sie
überlegte einen Moment. Schmunzelte. »Doch.«
    Er
stützte sich auf seinen Arm, im Gesicht ein Lausbubenlachen. »Und wenn’s nur
erfunden ist? Wunschdenken? Weil ich ein allzu braver Junge war, der einmal
gern über die Stränge geschlagen wäre, aber nicht den Mut dazu hatte? Was sagt
die Psychologin dazu?«
    »Dazu
schweigt die Psychologin.«
    Er fuhr
ihr mit der Fingerspitze über das kleine Tattoo auf der Brust. Sie erschauerte
leicht. »Jetzt mal ganz im Ernst: Ich finde, man kann einen Menschen besser
einschätzen, wenn man seinen Werdegang kennt. Die Vergangenheit hat uns geprägt
und ist nicht mehr veränderbar. Sie ist das, worauf wir aufbauen, was uns hat
zu dem Menschen werden lassen, der wir sind. Deshalb will ich so viel von dir
wissen.«
    Er führte
sein Fingerspiel fort. »Da bin ich anderer Meinung. Das Jetzt ist es, was
zählt. Die Vergangenheit ist

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