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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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ein
riesiger Schläger, ihm den Arm auf der Fensterbank gebrochen hatte. Hatte ihn
in Position gebracht und draufgetreten, so wie man ein Stück Holz zertritt. Der
Arm hatte schräg abgestanden, Blut war in den Bruch geströmt.
    »Du hörst
was, du tust anrufen diese Nummer«, hatte der Brite mit schwer verständlichem
Akzent gesagt. »Du versuchst austricksen den Colonel, ich wiederkommen.«
    Er schob
einen Daumen durch die Lücke in Paulchens Schneidezähnen und quetschte die
Zunge damit fest. »Glaub nicht, wir dich nicht finden. Berlin ist unsere
Stadt.«
    Paulchen
hatte zu schreien versucht, aber seine Zunge war im eigenen Mund gefangen.
    »Der Colonel
wird uns mehr zahlen, als die Frau es kann«, erklärte er Gunnar.
    Der Junge
nickte anerkennend. »Gut gedacht, Chef. Soll ich mich trotzdem mal nach einem
Projektor umhören?«
    »Mach dir
nicht die Mühe. Das ist 'ne Militärsache. Damit wollen wir keinen Ärger. Am
Ende tauchen hier auch noch die Russen auf. Das ist das Letzte, was wir
brauchen.«
    Sagte es,
lehnte sich zurück und kratzte sich die Haut am Rand seines Gipses. Wenn diese
Geschichte nur schon vorbei wäre. Hoffentlich kam Fosko schnell zurück.
     
    Was am Ende dabei herauskam, war
ein langes Warten auf den Colonel. Und während Pavel und ich dasaßen und mit
Worten handelten, forderte die Stadt sie alle zurück, den Jungen, die Frau, die
Kinderbande, löste sie raus aus ihrem Spionagedrama und warf sie zurück in die
ruhigeren Rhythmen des Überlebens: den Vorrang von Essen und Trinken, das
geduldige Füttern der Ofenglut, auf die Knappheit von Lebensmittelmarken und
das ständige Laufen zur Wasserpumpe. Das Leben kam gleichsam eimerweise,
begleitet vom Schmerz der Kälte. Paulchen und seine Bande pflegten ihre Wunden
und widmeten sich wieder ihren Schwarzmarktgeschäften. Sardinen in Büchsen
gegen Butter, die Butter gegen Fahrradteile, das Fahrrad gegen eine Fahrkarte,
die Karte wieder gegen Sardinen, und das Ganze mit einer Gewinnspanne von
achthundert Prozent. Einmal täglich kam ein Anruf von Sonja, wobei gut die
Hälfte der Verbindungen den Launen der alliierten Stromversorgung zum Opfer
fiel. Es gab eine knappe negative Antwort, darauf von ihr die machtlose
Drohung, dass sie nicht länger warten wolle. Auch in ihrer Wohnung herrschte
eine Zeit der Ruhe, Anders war krank, sie selbst Opfer einer Art Lagerkoller.
Schweigend saßen sie zusammen und fühlten sich unwohl in den Rollen, die das
Schicksal ihnen zugeteilt hatte. Endlich begannen sie zu reden, aus Langeweile,
und weil sie die Liebe des anderen zu Pavel verstehen wollten. Es fing eines
Abends beim Essen an, mit einer unbeholfen gestellten Frage und einer
übertriebenen Antwort, Warnschüsse vor den Bug bei der Suche nach der
Reichweite ihrer Beziehung zueinander. Ich weiß nicht, ob sie sie je ganz
verstanden, ihre Gefühle füreinander. Vielleicht hielten sie sich in dieser
Hinsicht an die Konvention: Mutter und Sohn, auf ewig Geiseln der Grausamkeit
des Gebärens.
     
    Sie saßen beim Essen, hatten zwei
Stücke Leber und eine halbe Zwiebel gebraten. Dazu gab es Brot und gekochte
Kartoffeln. Anders hatte keinen großen Appetit, zwang sich aber dennoch zu
essen. Er erinnerte sich nur zu lebhaft daran, wie er versucht hatte, Pavel auf
seinem vermeintlichen Totenbett zu füttern. Er kaute langsam und schmuggelte
das Fleisch an seinen geschwollenen Mandeln vorbei.
    Eine
Schallplatte lief. Eine Frau sang etwas Ausländisches. Franzi hatte ein
Grammofon und ein paar Dutzend Platten. Sonja hatte sie mehrmals durchgesehen
und drei oder vier, die sie mochte, aussortiert. Wann immer die Platte zu Ende
war, stand sie auf und setzte die Nadel zurück an den Anfang. Sie schien keine
Stille zu mögen.
    Anders
fühlte sich in Sonjas Gesellschaft nicht wohl. Sie ließ ihn nicht aus den
Augen. Jedes Mal, wenn er den Blick hob, sah sie ihn gerade an. Er hatte sich
ein paar Dinge über sie zusammengereimt: Dass sie mit Boyd zusammengelebt
haben musste, aber für den Colonel gearbeitet hatte, den er nicht hatte erschießen
können. Dass der Zwerg irgendwie damit zu tun hatte und dass sie sich für Geld
verkaufte.
    »Hat er
Sie gezwungen, es zu tun?«, fragte er völlig unvermittelt. »Der Colonel, meine
ich.«
    Ihre Gabel
stoppte auf halbem Weg zwischen Teller und Mund. Das Stück Leber sah an der
Schnittstelle grau aus. Ganz innen war ein Streifen Rosa.
    »Was zu tun?«
    »Sie wissen schon ... mit Boyd zu
gehen und so.«
    »Du stellst zu viele

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