Vyleta, Dan
kaum einen Ton halten, und
schon schloss sich ihm der Affe an. Die beiden veranstalteten einen ziemlichen
Lärm. Währenddessen sah Sonja Franzis Kleiderschrank durch und fand eine
Männerunterhose, die sie dem Jungen hinlegte. Seine eigene Unterwäsche war so
schmutzig, da ließ sich nichts mehr machen. Sie warf beides, Unterhose und
Unterhemd, weg und wusch sich anschließend die Hände. Wäre Pavel da gewesen,
hätte er sich womöglich um diese eher häuslichen Dinge gekümmert. Sie
versuchte, ihn sich vor Augen zu rufen, sich an die Berührung seiner Hände zu
erinnern, aber alles, was sie heraufbeschwören konnte, war der Mythos ihrer
Liebe. Er war ohne Inhalt: drei kurze Küsse nur und ein paar halbherzige
Eingeständnisse, der Druck seiner Erektion gegen ihren Körper. Das reichte
nicht zum Trauern. Verdrossen suchte sie die Wohnung nach Alkohol ab, aber
alles, was sie fand, waren leere Flaschen. Also versuchte sie es mit Rauchen
und musste feststellen, dass ihr die Zigaretten ausgingen. Es gab kein Klavier,
auf dem sie hätte spielen, keine Bücher, die sie hätte lesen können. Sie
setzte sich auf Franzis abgewetztes Sofa und überlegte, was sie tun sollte,
wenn Paulchen den Projektor für sie gefunden hatte.
Der Junge
kam aus dem Bad und ging ins Bett. Eine Stunde später legte sie eine Hand auf
seine Stirn und stellte fest, dass sein Fieber wieder gestiegen war. Im Schlaf
sah sein Gesicht besonders hässlich aus, zerknittert und faltig wie das des
Affen. Vielleicht wäre es leichter gewesen, sich um ein gut aussehendes Kind zu
kümmern.
Sonja
verließ die Wohnung, um einen Spaziergang zu machen. Die Kälte drang ihr in
Haut und Gelenke und nahm ihren Körper in Besitz. Sie ging in eine Kneipe,
schnorrte Zigaretten von einem amerikanischen Journalisten und trank
Schokoladenlikör, anderen Alkohol gab es nicht. Als der Wirt vorschlug, sie
solle mit ihm nach Hause kommen und ihm das Bett wärmen, beschimpfte sie ihn
und stürmte hinaus. Nicht, dass sie sein Angebot aus der Fassung gebracht
hätte. Sie hatte nur gelernt, dass man seine Ablehnung am besten mit Nachdruck
kundtat, wollte man nicht missverstanden werden.
Früh am nächsten Morgen rief Sonja Paulchen an, um zu
hören, ob er schon einen Projektor für sie hatte besorgen können. Das hatte er
nicht, und er klang verärgert.
»Es wird
ein paar Tage dauern, vielleicht eine Woche.«
Sie legte
auf und fragte sich, ob Pavel so lange warten konnte. Vielleicht wäre es das
Beste, die Sache zu vergessen, den Film zu verbrennen und unterzutauchen. Nur
würde sie dann nie erfahren, wozu sie ihren Körper verkauft hatte und ob es so
etwas wie Liebe gab.
Morgen, sagte sie sich. Ich kann ihn
auch morgen noch verbrennen.
Der Junge
wachte auf, und sie legte ein paar Schrippen auf den Tisch. Sie frühstückten
schweigend. Anders fieberte nach wie vor und war offenbar mit seinen Gedanken
immer noch bei der Unterhaltung vom Abend zuvor. Als sich der Morgen dem Mittag
näherte, sah sie, wie er sich abmühte, eine Frage zu formulieren. Er legte
seine Lippen um die erste Silbe, das erste Wort, machte aber erneut einen
Rückzieher.
»Was ist
denn?«, fragte sie genervt.
Anders
wurde rot und vergrub sich in seinen Decken.
»Sie waren
wie Franzi, oder? Eins von Boyds Mädchen. Haben Sie ...«, er zögerte, »haben
Sie es auch mit dem Zwerg gemacht?«
Sie nickte, amüsiert über seine
Ausdrucksweise. Die Stirn grüblerisch in Falten gelegt, sah er sie an. »War es
irgendwie anders?«, fragte er. »Nein, nicht anders.«
»Aber er war kleiner als Sie.«
»Ja«, stimmte sie ihm zu. »Das ist
sicher richtig.«
»Ich hätte nicht fragen sollen.«
»Nein«, sagte sie, »das hättest du
nicht tun sollen.«
»Pavel hätte nicht gefragt.«
Sie
überlegte. »Nein, hätte er nicht. Aber darüber nachgedacht hat er sicher.«
Sie konnte
sehen, dass er sie nicht verstand, und weigerte sich, mehr dazu zu sagen. Es
gab Dinge in ihrer Vergangenheit, über die sie nicht reden würde.
»Erzähl
mir von deiner Familie«, sagte sie stattdessen. »Wie kommt es, dass du nicht
lesen kannst.«
»Ich bin
nicht zur Schule gegangen«, antwortete er. »Mein Onkel wollte es nicht.«
»Warum?«
»Ich weiß
nicht. Das hatte wohl was mit Politik zu tun.«
»Bist du
Jude?«
»Nein.«
»Woher
weißt du das?«
»Schlo'
hat gesagt, wenn du Jude bist, hast du eine Nummer auf dem Arm.«
Er zeigte ihr seine Handgelenke.
»Sehen Sie«, sagte er. »Ich bin sauber.«
Stück für Stück
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