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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Knöchel.
    »Du bist
verletzt«, sagte er. »Was ist da oben passiert?«
    »Die
Russen haben Paulchen erschossen.« Er versuchte, es für sich zu behalten, aber
es kam trotzdem aus ihm heraus. Sonst hätte er in Tränen ausbrechen müssen.
»Wie kommt es, dass ihr bei denen im Auto sitzt?«, fragte er, und es war ihm peinlich,
als er sah, dass sie nicht wussten, wie sie ihm antworten sollten.
     
    Karpow öffnete kurz die Autotür,
um sein Zigarettenetui zu nehmen, das er auf dem Armaturenbrett hatte liegen
lassen. Es war aus verziertem Silber und trug die drei Initialen CMK. Die Zigaretten
selbst waren amerikanische. Er bot Pavel eine an. Pavel nahm sie. »Ihr Vater?«,
fragte er auf Russisch und deutete auf das Monogramm.
    »Ja,
Stepan Iwanowitsch. Möge er in Frieden ruhen.«
    »Warum
warten wir hier?«
    »Wir
warten auf ein paar meiner Männer mit einem Lastwagen.«
    »Wozu
das?«
    »Um die
Jungen wegzubringen. Die Sowjetunion braucht Arbeiter für ihre Bergwerke.«
    Pavel
versuchte, Karpows Ausdruck zu entschlüsseln. Ohne Erfolg. Der Mond ließ das
Gesicht des Russen leblos und hölzern erscheinen.
    »Das
müssen Sie nicht tun«, sagte er. »Es sind Kinder. Nur, um mir Manieren
beizubringen.«
    Der
General zuckte mit den Schultern. »Das ist nichts. Nicht angesichts der großen
Dinge. Noch bevor die Woche herum ist, haben Sie es vergessen.«
    Er
inhalierte und blies den Rauch in eine Handschuhfaust. »Glauben Sie mir, Mr
Richter. Bald schon werden Sie von einer Winzigkeit gerührt werden, einem
Kätzchen, das sich auf einer Gartenmauer putzt, und es wird so sein, als hätte
es diese Jungen nie gegeben. Sie werden vergessen sein, Schnee von gestern.
Eine Randnotiz aus einer Zeitung, die Sie längst zum Feuermachen verwandt
haben.«
    »Sie sind
gefühllos, Karpow. Sie haben eine tote Seele.«
    »Ich habe
vergessen, dass Sie ein Dichter sind, Mr Richter. Es steht nicht in Ihrer Akte.
Das ist ein schwerwiegender Fehler.«
    »In meiner
Akte?«
    »Ihrer
Akte, Mr Richter. Ihrer Militärakte. Wir haben Sie uns besorgt. Und gerade Sie
müssen sich ein Urteil über die Seele anderer Leute erlauben.«
    Karpow
lächelte, schloss die Tür, und Pavel saß da und fragte sich, wie viele andere
noch für seine Fehler büßen müssten.
    »Was hat
er gesagt?«, wollte Sonja wissen.
    »Sie
nehmen die Jungen mit.«
    »Warum?«
    »Weil sie
Zeugen sind. Das hier ist der britische Sektor. Die Sowjets haben kein Recht,
hier zu sein.«
    »Was für
ein Mistkerl.«
    »Ja«,
sagte Pavel, »genau das ist er.«
    Er sah sie
an und den Jungen, der auf ihrem Schoß saß, und fragte sich, was noch zu sagen
blieb, bevor er Haldemann für Karpow ausfindig machte und ihre Leben nur mehr
an einem seidenen Faden hingen.
    Zunächst
wandte er sich an den Jungen. Es war schwer zu entscheiden, wie er anfangen
sollte. Anders sah ihn an. Der Junge kühlte sich die Wange an der kalten
Scheibe und fuhr mit der Hand über die doppelt gebrochene Nase. Pavel
überlegte, ob er seine Hand auf ihn legen sollte, auf das Knie vielleicht oder
den Ellbogen, aber er war sich seiner Reaktion nicht sicher.
    »Wir haben Oliver Twist nicht zu Ende gelesen«, sagte er
endlich. »Um sicherzugehen, dass er alles übersteht.«
    Der Junge
tat den Versuch eines lockeren Wortgeplänkels ab.
    »Ich war
wütend auf dich«, sagte er, die Zähne in die Lippe gegraben. »Weil du geheult
hast. An der Schulter des Colonels. Bei Boyd White. Als er tot war.«
    »Bist du
immer noch wütend?«
    »Nein,
nicht mehr. Der Colonel, er ist tot, oder? Deshalb bist du hier, mit den
Russen.«
    Pavel
hatte Schwierigkeiten, seine Stimme zu kontrollieren.
    »Ja«,
sagte er. »Der Colonel ist tot. Er ist einen schlimmen Tod gestorben.«
    »Bist du
nicht froh darüber?«
    »Doch,
natürlich.«
    Der Junge
musterte ihn, um zu sehen, ob Pavel es tatsächlich so meinte. Er streckte die
Hand aus und strich über Pavels Wange. Eine Weile blieben sie so, die Hand in
Pavels Bart fühlte sich angenehm an.
    »Was
passiert als Nächstes?«, fragte Anders schließlich.
    »Wir geben
ihnen, was sie wollen.«
    »Und
dann?«
    Pavel
zögerte. Er sah zu Lew und der Pistole, die auf ihn gerichtet war.
    »Ich weiß
es nicht, Anders«, sagte er, und der Junge akzeptierte es ohne ein Wort. Er
ließ Pavels Wange los und lehnte sich zurück gegen die Tür.
     
    Der Lastwagen kam, und sie sahen
zu, wie zwei Russen in Zivil ausstiegen, die Treppe hinaufgingen und mit einer
Prozession Jungen zurückkamen, blass und zu dünn

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