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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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zugezogenen
Vorhängen, die Straße zu kalt für Fußgänger und zu arm für mehr als eine
Handvoll Autos. Man konnte in Nächten wie dieser durch Berlin fahren und den
Eindruck gewinnen, dass es keine Menschenseele hinter dem Licht der
Scheinwerfer gab, die Stadt tot und jeder Atemzug ein Rauchzeichen, das in der
eitlen Hoffnung auf Antwort in die Luft stieg.
    Wieder
eine Ecke, Karpow schaltete herunter und hielt kurze Zeit später an.
    »Dort«,
sagte Pavel. »Am Ende des Blocks. Sie könnten Posten aufgestellt haben.«
    Karpow
machte den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Sonja zitterte, Lew reichte
Zigaretten herum, dann ein Streichholz, eine Hand immer auf der Pistole,
argwöhnisch unsere Bewegungen beobachtend. Rauchend saßen wir da, spürten
Sonjas stummes Beben und warteten darauf, was als Nächstes geschehen würde.
    Karpow
schickte zwei Soldaten auf die andere Seite des Hauses, riss das Tor zu
Paulchens Hinterhof auf und verschwand dahinter.
     
    Die Tür schlug mit einem wahren
Splitterregen nach innen. Wer immer draußen Wache gehalten hatte, musste
geschlafen haben oder war übermannt worden, ohne die Jungen in der Wohnung
warnen zu können. Sie trugen Zivilmäntel über ihren Uniformen, aber Anders
wusste sofort, es waren Russen. Man erkannte sie an den Stiefeln. Der schlanke
Mann mit der Metallbrille war ihr Anführer. Im Unterschied zu den anderen hatte
er kein Gewehr.
    »Wer von
euch ist Paulchen?«, fragte er in die Vielzahl Jungen hinein, die überall
saßen, mit einer Schachfigur oder Murmel in der Hand, oder einem Löffel Suppe,
reglos zwischen Teller und Mund. Sein Deutsch hatte sehr offene Vokale, und
der Satzrhythmus stimmte nicht. Er musste noch einmal fragen.
    »Wer von
euch ist Paulchen?«
    Die Augen
der Jungen wandten sich dem Sessel zu, wo Paulchen neben dem Telefon gebrütet
hatte. Seine Luger steckte hinter dem Sitzkissen, zusammen mit einer Tafel
Schokolade.
    »Du?«
    Ein trübes
Nicken.
    Der Russe
erschoss ihn. Es geschah ohne jede Eile. Er schlug seinen Mantel zurück,
knöpfte den Lederhalfter auf, zog die Pistole heraus, zielte und schoss
Paulchen in den Kopf. Die Kugel durchschlug die Rückenlehne und zerschmetterte
das Fenster dahinter. Der Schuss war nicht so laut, wie Anders es sich vorgestellt
hätte. Als das Blut aus dem Loch unter Paulchens Auge spritzte, erinnerte er
sich an sein Gelübde, mit dem Messer auf seine Kameraden loszugehen. Es
versetzte ihn in kalte Wut auf einen Gott, der seinen Gebeten nur willkürlich
nachkam und diesen silberhaarigen Russen zu seinem Engel erwählte, der sich
nun zu ihm hinunterbeugte und ihm mit der Hand vorsichtig über die Verletzungen
fuhr.
    »Bist du
Anders?«, fragte er.
    Anders nickte, genau wie Paulchen
eben erst. Er hatte keine Angst, erschossen zu werden. »Kannst du gehen?«
Wieder ein Nicken. »Dann steh auf.«
    Während
sich Anders auf die Füße kämpfte, griff der Mann nach dem Telefon, wählte eine
Nummer und sagte kurz etwas auf Russisch. Bevor er aufhängte, gab er die
Adresse durch und fügte dabei so etwas wie ein »j« vor das »i« in
»Schillerstraße«. Dann ging er zurück zu Anders, nahm ihn bei der Hand und
führte ihn wie einen Schuljungen hinaus. Die anderen Russen blieben. Anders
fragte sich, was mit seinen früheren Freunden geschehen würde.
    Unten
schloss sich ihnen ein weiterer Russe an, der ebenfalls mit einem Gewehr
bewaffnet war. Sie gingen durch den Hof, hinaus durch das offene Tor und auf
einen Jeep und eine Limousine zu. Hinten in der Limousine saßen Pavel und
Sonja, zusammen mit dem Einäugigen, der für den Colonel arbeitete. Anders
hatte ihn zuletzt gesehen, als sie Schlo' weggebracht hatten, mit einem Hals
krumm wie ein Angelhaken. Die drei saßen zusammen, als teilten sie sich ein
Taxi. Der Junge stand wie angewurzelt da und wusste nicht, was er davon halten
sollte, bis er die Pistole sah, die von vorn auf die drei gerichtet war. Das
versöhnte ihn und gab ihm die Möglichkeit, sich darüber zu freuen, seinen
Freund lebend wiederzusehen.
    »Beweg
dich«, sagte der Russe. »Setz dich in den Wagen.«
    Er war
sich nicht sicher, wie er Pavel begrüßen sollte, und so umarmte er zuerst
einmal Sonja, drückte das Gesicht in ihren Pelz und fuhr verlegen zurück, als
er auf nackte Haut traf.
    »Ich hab
nichts gesagt«, fing er an, aber sie machte »Schschsch« und reichte ihn an
seinen ernsten, bärtigen Freund weiter. Die beiden schüttelten sich die Hand.
Pavels Daumen glitt sanft über seine

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