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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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angezogen. Sie gingen in einer
ordentlichen Kolonne. Sonja fragte sich, wo sie das gelernt hatten, wie
Soldaten zu marschieren, oder wie Sträflinge. Mit Mädchen wäre es vielleicht
anders gewesen. Ganz sicher hätte eine von ihnen mit einer Locke gespielt oder
eine Hüfte vorgestreckt, hätte sich unbeholfen aus der Taille heraus gebückt,
um ein Taschentuch aufzuheben, oder kurz verweilt und sich den Rock glatt
gestrichen. Sonja zählte dreizehn Jungen, alle verschieden groß, verschieden
gebaut und dreckig. Der letzte Soldat trug die Leiche, in ein Tuch gewickelt.
Die Form war nicht zu verwechseln, der rote Fleck nicht zu übersehen, der das
Tuch auf der Haut kleben und den Umriss des Kinns sowie die niedrige, jungenhafte
Stirn erkennbar werden ließ. Die Soldaten arbeiteten langsam und luden die
Jungen einen nach dem anderen auf, unbeeindruckt von den zahlreichen
erleuchteten Fenstern und den auf sie gerichteten Blicken. Paulchen kam als
Letzter auf die Ladefläche. Sie legten ihn direkt vor die Füße seiner
Kameraden. Einen Moment lang versuchte sie zu erraten, wohin sie die Leiche
des Jungen wohl bringen würden. Es war gut möglich, dass sie ihn zur Polizei
brachten und dem Arzt befahlen, einen Tod durch Tuberkulose festzustellen. Tote
schienen ihr für einen Mann wie Karpow kein Problem. Sie verursachten höchstens
Papierkram, waren lästig. Sonja fragte sich, ob sie auf ihn mit der gleichen
gewinnsüchtigen Unterwürfigkeit reagiert hätte wie auf Fosko, wenn sie damals
ihm statt dem Engländer begegnet wäre.
    Aber es
war Pavel, der ihr Denken erfüllte, dieser Pavel mit seinen wilden Stoppeln,
der es fertigbrachte, ein Dutzend Jungen zu opfern, um einen anderen
freizubekommen. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, wärmte seine Hand
zwischen ihren und sah ihn verstohlen unter gesenkten Lidern her an. Es war
schwer zu verstehen, wie sie hierhergeraten waren, Schenkel an Schenkel
gedrückt vor dem Lauf einer russischen Pistole. Sie fragte sich, ob auch nur
einer von ihnen diese Nacht überleben würde.
    Karpow
befahl zwei von seinen Leuten, hinten zu den Jungen auf die Ladefläche zu
klettern und sie zu bewachen. Er sah zu, wie der Wagen die mondbeschienene
Straße hinunterfuhr und um die nächste Ecke bog, stieg zurück ins Auto und
fragte Pavel, wo es als Nächstes hingehe.
    »Es ist Zeit, dass Sie Ihren Teil
unseres Handels erfüllen.«
    Pavel
zögerte. »Lassen Sie den Jungen gehen«, sagte er. »Und die Frau.«
    Der
General grinste ihn freudlos an. »Sie wissen ganz genau, dass ich das nicht
kann. Also wohin?«
    »Nach Alt-Moabit. In die Nähe des
Parks.«
    »Gut.«
    Karpow ließ den Motor an und fuhr
los.
     
    Pavel zerrann die Zeit. Sie waren
fast da, noch ein paar Straßen, und er würde Karpow anhalten lassen müssen.
Wenn er noch etwas sagen wollte, musste er es jetzt tun, unter den Augen der
anderen und während Haldemann sich immer stärker in sein Denken drängte. Pavel
machte dem Jungen ein Zeichen, sich zu ihm zu beugen.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte er leise. »In Ordnung.«
    »Wenn wir hier fertig sind, musst du ins Krankenhaus.«
    »Es geht mir gut.«
    »Es könnte
etwas sein. Innere Blutungen. Du musst dich untersuchen lassen.«
    Der Junge
nickte, gleichzeitig zogen sich seine Brauen argwöhnisch zusammen.
    »Was passiert jetzt?«, fragte er.
    »Ich
bringe den General zu jemandem. Jemandem, den er sucht. Du wartest mit Sonja.
Du kommst schon durch, richtig?«
    »Ja.« Und dann: »Uns bleibt keine Wahl, oder?«
    Pavel
lächelte ihn reuig an. »Komm näher, Anders. Komm ganz nahe.«
    Der Junge
beugte sich zu ihm vor. Schmerz durchfuhr ihn, als er den Brustkorb beugte.
Sein Mund war geschwollen, voll mit getrocknetem Blut und Hautfetzen. Die Nase
ein loser Klumpen. Vorsichtig nahm Pavel Anders' Gesicht zwischen die Hände
und drückte seine Lippen auf die des Jungen. So hielt er Anders einen Moment
lang, bevor er ihn wieder losließ, den Geschmack von Blut im Mund.
    »Uch«, sagte der Junge. »Was sollte das werden?«
    »So machen
es die Russen. Es bedeutet, dass es zwischen uns keinen Groll gibt.«
    »Geben Sie Sonja auch einen?«
    Darauf wusste Pavel keine Antwort.
    Er gab
Karpow das Zeichen, anzuhalten und den Motor auszustellen. Dazu brauchte er
keine Worte, ein Klopfen auf die Schulter und ein Blick genügten. Die zwei
Russen stiegen aus und warteten, dass Pavel ihnen folgte. Er lehnte sich leicht
vor, um hochzukommen, aber Sonja fasste ihn am Arm und hielt ihn fest. Pavel
sah sie

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