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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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hole
ich meinen Mantel, dann holen wir alle zusammen Anders.«
    »Und
dann?«
    »Es gibt einen Mann, nach dem sie
suchen. Er war auf dem Mikrofilm.«
    »Haldemann.«
    »Ja, Haldemann.«
    »Wer ist das?«
    »Er ist der, um den sich alles
hier dreht.«
    »Jemand Besonderes also?«
    »Ein Nazi.« Er sah zu Karpow
hinüber. »Wir müssen gehen.« Er reichte ihr seine Hand und half ihr auf. Einen
Moment lang standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    »Das
letzte Mal«, sagte sie. »Das letzte Mal, als wir uns so gegenüberstanden, hast
du dich vorgebeugt und mich geküsst.«
    »Ja, das
habe ich.«
    Sie zuckte mit den Achseln, wurde
rot, ihre Hand in seiner. »Du holst dir besser deinen Mantel, Pavel Richter. Es
könnte kalt werden.«
     
    Die Russen brachten sie auf den
Flur, die Treppe hinunter und in den Keller. Dort unten war es heiß und stank.
Zwei russische Wachen, die Hemden bis zum Nabel geöffnet, hatten einen einäugigen
Engländer hinter Schloss und Riegel. Ich saß auf dem Boden der Zelle und hielt
einen Stiefel beim Absatz. Um meinen Wollstrumpf herum lagen die Überreste
etlicher Insekten. Pavel beachtete mich zunächst nicht weiter, sondern suchte
die Regale nach seinem Mantel ab. Er war ihm abgenommen worden, als wir ihn
hier heruntergeschafft hatten. Er fand ihn und klopfte den Staub von ihm ab.
Lew behielt ihn im Auge und versicherte sich, dass er nichts in die Tasche
steckte, was er als Waffe gebrauchen könnte. Pavel zog den Mantel an und
näherte sich dem Käfig.
    »Wohin bringen die Sie?«, fragte
ich ihn.
    »Zu Anders. Ich tausche ihn gegen
Haldemann ein.«
    »Und der Colonel?«
    Pavel
schüttelte den Kopf. Ich betrachtete das als einen Hinweis darauf, dass er tot
war oder es bald sein würde. Es war ernüchternd, dass Foskos Rolle in unseren
Leben damit ihr Ende fand und uns nur ein Bild von ihm bleiben würde: das eines
fetten Mannes mit fetten Lippen und einer Schwäche für Nerz.
    »Was wird mit mir?«
    »Ich weiß
es nicht.« Er wandte sich Karpow zu, der oben auf der Treppe stand.
    »Was wird mit ihm?«, rief er. »Wir
nehmen ihn mit.«
    »Sie
nehmen Sie mit«, übersetzte Pavel. Ich glaube, wir beide mussten daraufhin
lächeln. Hinter Pavel stand Sonja und verfolgte die Unterhaltung. Schweiß rann
ihr in den Fuchspelz.
    Ich nahm
meinen Mantel, und wir gingen hinaus, fünf sowjetische Soldaten in Zivil und
drei Gefangene, die sich gegen die Kälte wappneten. Der Mond stand reif und
schwer am Himmel, und die Luft war so rau, dass man sich seinen Atem einteilte.
Wir stiegen in die Limousine des Generals. Karpow fuhr. Lew saß neben ihm und
hielt die Pistole auf uns Gefangene gerichtet. Die anderen Russen sprangen in
einen zweiten Wagen, dessen Zündung keuchte, bis er schließlich ansprang.
    »Wohin?«, fragte Karpow Pavel.
    »Nach Charlottenburg. In die
Schillerstraße.«
    Sonja saß
neben ihm und schob langsam und schüchtern ihre Hand zurück in seine.
    Und so verließen wir das Haus des
Colonels, saßen eingequetscht auf der Rückbank einer beschlagnahmten deutschen
Limousine und sahen in den Pistolenlauf eines Georgiers. Pavel saß neben mir,
die Augen auf die Straße gerichtet. Sonja zu seiner Linken. Sie hielt seine
Hand. Eine zärtliche Geste, voller Bedauern über die verschwendete Zeit, da sie
zu wütend gewesen war, ihn zu berühren, allein sein Ehering rieb ihr über den
Knöchel. Ich fragte mich kurz, was Pavel täte, wenn ich nach seiner anderen
Hand greifen und meine Finger mit seinen verschränken würde. Er sollte wissen,
dass ich ihm seine Gewalt gegen mich nicht übel nahm. Aber am Ende entschied
ich mich dagegen. Es wäre zu lächerlich gewesen. Man muss schließlich die
Würde bewahren.
    Wir rasten
Richtung Berlin. Der Grunewald öffnete sich, und aus der Landstraße wurde eine
Einfallstraße. Sie nahmen mir jedes Mal den Atem, diese majestätischen
Schneisen, die von einer endlosen Trümmerlandschaft gesäumt wurden. Hier und da
ragte eine Wand aus dem Schutt, fünf Stockwerke hoch, die Fenster zerschlagen,
das Dach eingestürzt, sich dem Mond entgegenlehnend wie ein Betrunkener, der
auf eine Schlägerei aus ist. An der nächsten Ecke standen zwei krumme Laternen,
die aussahen, als würden sie gerade einen Knicks machen. Der Wagen raste weiter
und kam in eine Straße, in der die meisten Häuser noch standen, ein wenig
angeschlagen, aber dennoch trotzig schön mit ihren vier Meter hohen
Türeingängen und schmucken Jugendstilbalkonen. Fenster mit

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