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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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je besessen hatte. Als er zurück zu Paulchen kam,
wortkarg und tief in Gedanken, hatten ihm die Rufe und Sticheleien wegen seines
neuen Mantels großen Spaß gemacht. Ein paar Päckchen Zigaretten, die er
zusammen mit dem Mantel für Sonjas Ohrringe bekommen hatte, beschwichtigten Paulchen
und ließen alle Fragen verstummen, außer der, wo er den Tag verbracht hatte.
Anders hatte schweigend den Linseneintopf mit den Schinkenstückchen gegessen
und darauf gewartet, dass seine Kameraden einschliefen. Dann setzte er sich
auf, den Rücken am Ofen, und dachte darüber nach, was zu tun war.
    Was ihm
dabei ganz besonders zu denken gab, war der Mantel, den der Colonel ihm
abgenommen hatte. Offenbar hatte er den Mantel des Zwergs wiedererkannt, wenn
auch nur an der Qualität und dem vornehmen Schnitt. Der einzige Grund, aus dem
er ihm den Mantel abgenommen haben konnte, überlegte Anders, war, dass der
Colonel irgendetwas Kleines darin versteckt glaubte: versteckt, denn sonst
wäre er ja wohl davon ausgegangen, dass sein neuer Besitzer es längst entdeckt
hätte, und klein, weil man im Mantel eines Zwergs kaum etwas Großes verstecken
konnte. Bestimmt hatte er den Mantel mitgenommen und Futter, Kragen und
Aufschläge aufgeschnitten, den Mantel also ruiniert, ohne dass es ihm geholfen
hätte. Er war so gut wie überzeugt, dass Fosko nichts gefunden hatte,
schließlich hatte er den Mantel selbst äußerst gründlich untersucht. Es machte
ihm Gedanken, was der Colonel als Nächstes tun mochte. Anders musste mit Pavel
reden, ihn warnen, allerdings hatte Sonja gesagt, Pavel werde beschattet. Die
Antwort darauf war Schlo'.
    Er fiel
nicht gleich mit der Tür ins Haus. Als er sah, dass der Jüngere wach war, schob
er sich hinüber zu ihm, strich ihm über das Haar und sagte, er solle seine
Träume vergessen. Anders zog ihn in die Wärme des Ofens und erzählte ihm
Geschichten, erst ein Märchen, das er einmal im Radio gehört hatte, dann die
aus dem Buch, das ihm Pavel in langen Nächten und an faulen Vormittagen
vorgelesen hatte, bis zu dem Tag, als Boyd White mit seinem Koffer und seiner
jammervollen Geschichte aufgetaucht und Pavel beinahe gestorben war. Erst als
Anders sich des Jungen ziemlich sicher war, gab er ihm seine Instruktionen. Er
teilte sie in einfache Schritte auf, die er sich von Schlo' wiederholen ließ,
einmal und dann noch einmal eine Stunde später. Da wurde Schlo' langsam müde,
und als er sich wieder hinlegte, um doch noch etwas zu schlafen, beugte sich
Anders beruhigend über ihn.
    »Denk
daran«, flüsterte er ihm zu. »Sobald der Colonel auftaucht, schreist du Zeter
und Mordio und nimmst die Beine in die Hand.«
    Der Junge
nickte und schob sich verlegen einen Daumen in den Mund.
    »Mach
nur«, beruhigte ihn Anders. »Ich sag's den anderen schon nicht.«
    Endlich
schlief der Kleine ein. Auch Anders spürte, wie die Müdigkeit ihn überkam,
aber er hatte jetzt keine Zeit zum Ausruhen. Da gab es etwas, das er tun
musste, und er musste es schnell tun, bevor es zu dämmern begann und die Jungen
von ihren leeren Bäuchen geweckt wurden. Ganz leise erhob er sich und schlich
hinüber zu Paulchen, der auf seinem Federmatratzenbett schlief. Er lag auf dem
Bauch, den Kopf zur Seite gedreht und mit einer dicken Wollmütze bedeckt. Vor
seinem Mund bildete eine Pfütze gefrorenen Sabbers einen dunklen Fleck.
Paulchens Lippen schienen daran zu kleben, sein Mund stand offen wie bei einem
Fisch. Im schwachen Licht des Ofens konnte Anders eine Uhr, einen Totschläger
und einen Schlagring auf Paulchens Kommode liegen sehen. Die Pistole, das
wusste er, war unter dem Kissen. Anders stellte sich vor, wie er seine Hand
unter Paulchens Kopf schob, aber das musste danebengehen. Es gab keine Möglichkeit,
an die Pistole heranzukommen, ohne ihren Besitzer aufzuwecken, genauso wenig,
wie es Worte gab, die ihn dazu bringen könnten, sich von seinem liebsten Besitz
zu trennen.
    All das
sah Anders mit einem Blick. Es war so klar und unausweichlich wie ein
Naturgesetz. Zielbewusst und ohne zu zögern schlossen sich seine Finger um den
Totschläger. Blitzschnell schlug er Paulchen auf die knochige Fläche zwischen Ohr
und Auge. Es geschah fast völlig lautlos, nur die Lippe löste sich von ihrer
Fessel und riss dabei auf. Ein paar Tropfen Blut sickerten ins Kissen. An der
Schläfe bildete sich ein zweites Rinnsal Blut, floss unter der Mütze vor, über
das geschlossene Augenlid, sammelte sich und folgte dem Verlauf der Nase.
    Mit

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